: Aus dem Brief Frank Schirrmachers an Martin Walser
„[…] Ihr Roman ist eine Exekution. Eine Abrechnung – lassen wir das Versteckspiel mit den fiktiven Namen gleich von Anfang an beiseite! – mit Marcel Reich-Ranicki. Es geht um die Ermordung des Starkritikers. Ein Schriftsteller wird als Täter verdächtigt. Ein anderer, der Erzähler, recherchiert. Später erfährt man, dass beide ein und dieselbe Person sind. Am Ende die Aufklärung: Der Kritiker ist nicht tot, er hat nur tot gespielt, um sich mit seiner Geliebten zu vergnügen. Dazwischen eine Art Gesamtanalyse des Starkritikers, des literarischen Lebens unter Aufbietung halb verschlüsselter Figuren wie Joachim Kaiser und Siegfried Unseld. In Wahrheit aber: die Beschreibung eines Verhängnisses, das sich in André Ehrl-König alias Marcel Reich-Ranicki über die Literatur in Deutschland legt. […]
Ich aber halte Ihr Buch für ein Dokument des Hasses. Und ich weiß nicht, was ich befremdlicher finden soll: die Zwanghaftigkeit, mit der Sie Ihr Thema durchführen, oder den Versuch, den so genannten Tabubruch als Travestie und Komödie zu tarnen. Nicht wahr, Sie haben das „Schlagt ihn tot, den Hund, er ist ein Rezensent“ nur wörtlich genommen? […] Ihr Buch ist nichts anderes als eine Mordfantasie. […] Sie haben sich eine Art mechanisches Theater aufgebaut, in dem es möglich ist, den Mord auszukosten, ohne ihn zu begehen. Doch es geht hier nicht um die Ermordung des Kritikers als Kritiker, wie es etwa bei Tom Stoppard geschieht. Es geht um den Mord an einem Juden. Die Signale sind unübersehbar, und sie sind unheimlich. […]
Aber das alles ist nichts gegen den Clou dieses Buches. Mord, Mordkommission, das alles spielt hier immer mit der Erinnerung an den Massenmord der Nazis. Doch der Kritiker ist nicht tot. Seine Frau, die kettenrauchend, kaum Deutsch, sondern Französisch sprechend, unter ihm leidet, weiß es die ganze Zeit. Warum? Sie sagt es, ein Champagnerglas in der Hand: „Umgebracht zu werden passt doch nicht zu André Ehrl-König.“ Es ist dieser Satz, der mich vollends sprachlos macht. Er ist Ihnen so wichtig, dass er zweimal in dem Roman vorkommt.
Auf dem Hintergrund der Tatsache, dass Marcel Reich-Ranicki der einzige Überlebende seiner Familie ist, halte ich den Satz, der das Getötetwerden oder Überleben zu einer Charaktereigenschaft macht, für ungeheuerlich. […]
Ich habe, lieber Herr Walser, in meiner Laudatio in der Frankfurter Paulskirche eine Summe ihres Werkes und Wirkens gezogen. Ebenso klar sage ich, dass ich fatal finde, was Sie jetzt zu tun im Begriff sind. […] Verstehen Sie, dass wir keinen Roman drucken werden, der damit spielt, dass dieser Mord fiktiv nachgeholt wird? Verstehen Sie, dass wir der hier verbrämt wiederkehrenden These, der ewige Jude sei unverletzlich, kein Forum bieten werden?
DPA, TAZ
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