: Inside-Outside
Im Krankenhaus-Museum: Einblicke in das Werk schizophrener KünstlerInnen
Was ist Leben? Die Deutung dieser Frage werden die KünstlerInnen der Ausstellung „Outsider“ auf ganz eigene Weise vorgenommen haben. Ihr Leben war über Jahrzehnte verborgen hinter den Mauern psychiatrischer Anstalten, die aber keine Ausgrenzung für Karoline Ebbesen, Hans Janke und den „Glaser“ bedeuteten, sondern einen Schutzraum, der möglicherweise unabdingbar für ihr kreatives Schaffen war.
Outsider steht für Menschen, die nicht drin sind, die aus der Norm fallen, oder Sonderlinge sind. Das mag von außen gesehen so sein, aber auch das ist eine Frage des Standpunktes. Denn bei Betrachtung des Werkes von Karoline Ebbesen eröffnet sich eine ganz andere Welt, in der alle anderen Outsider sind.
Ebbesen, 1887 in das St. Hans Hospital, dem psychiatrischen Auffangbecken Kopenhagens, eingeliefert, fängt im Krankenhaus an, dunkle, tiefe Bildchen zu malen, die ihre derzeitige Stimmungslage ablesbar machen. Aber es bleibt nicht bei dieser Finsternis. Ihr Schaffen erweitert sich in bunten, eigenwilligen Farbkombinationen.
In Collagen und Stoffapplikationen werden eigene Welten gezaubert, die gesättigt sind mit der Symbolik eines magischen Denkens. Der Höhepunkt manifestiert sich in einer eigenen Geheimschrift, die als Outsider unlesbar, aber durch einen bestimmten Code geknackt werden kann. Auf Beuteln aus zusammengenähten Stoffresten finden wir die geheimen Schriftzeichen wieder, dieses Mal gestickt. Stehen sie in Verbindung mit dem Innenleben der Tasche? Denn darin verborgen schlummert eine eigene Sphäre: chiffrierte Spielkarten, kleine Püppchen, weihnachtliche Motive und religiöse Symbolik sind auf vielfältigste Weise gestickt, ausgeschnitten und zusammengesetzt.
„Weiblich“ nennt Achim Tischer die Ausdrucksweise der Ebbesen, womit er die Vorliebe für Stickerei, Detail und Textilarbeiten meint. „Paranoide Schizophrenie“ ist die pathologische Bezeichnung für Ebbesens psychische Krankheit, die auch in der Krankenakte von dem „Glaser“ zu lesen ist.
Die gleiche Klinik, die gleiche Krankheit, aber zwischen den beiden Patienten liegen Meileneinsteine im künstlerischen Ausdruck: hier feine, zierliche Näharbeiten, dort grobe, robuste Holzarbeiten. Weitere Materialien, wie Blechreste, Glasscherben und Stacheldraht ordnet man wohl eher dem männlichen Wesen zu.
Der „Glaser“, dessen bürgerlicher Name nicht bekannt ist, hätte der Erfinder der L‘Art Brut sein können. Ein Zigarrenabschneider: eine Art lustige Guillotine, die die Zigarren für den Chefarzt kopieren sollte. Funktionabel, aber was soll das eigenartige Pendel, warum das blecherne Untergestell? Eine Eisenbahnbrücke: die Zugbrückenfunktion durchaus nachvollziehbar, aber wie soll der als Wohnwagen gestaltete Zug die Treppen hochkommen? Die Skulpturen, Glasmosaiken und Bilder haben einen Spielzeugcharakter, der farbenreich ist und fröhlich wirkt. Die Malereien sind schlicht und naiv und gehen über die Norm des Rahmens hinaus. Alles ist Spiel!
Am eindruckvollsten erscheint das Gesamtwerk von Hans Janke, der, so steht es in den Akten, 1949 verwahrlost und verhaltensauffällig in die Nervenklinik Arnsdorf in der DDR eingeliefert wurde. Sein Lebenswerk, das er in einem Sammelband von 240 farbigen Kunstblättern festgehalten hat, wirkt wie eine anthroposophische Erkenntnistheorie unter Berücksichtigung technischer Phänomene, die kombiniert ist mit einem VEB Wortschöpfungkatalysator.
In der „Urgeschichte des Weltalls und der Erde -Bis zu den Grenzen des Weltalls“ erklärt Janke den Weg der Natur, die Entstehung des Lebens aus einem Plasma-Schwamm, die ihren Höhepunkt in dem Menschen als Stabkondensator findet. Von Verwahrlosung keine Spur, denn äußerst akkurat und detailliert versuchte Janke seine Wissenschaft unter das Volk zu bringen. Ein Leben hier auf Erden scheint ihm unmöglich, zu groß ist die Gefahr von Energien und Strahlen. Dafür gibt es das „Raum-Trajekt- Venusland“, das uns auf den gleichnamigen Planeten bringen wird.
Was ist das Leben? Janke weiß die Antwort: „Die Aufnahme elektrischer Raum-Energie und deren Verarbeitung in den gesunden Intersien des menschlichen Körpers zu Lebenskraft“. Eine Information für Insider!
Silke Schumacher-Lange
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