pampuchs tagebuch: Er kennt mich besser
Es ist zum Verzweifeln. Genau jetzt macht mein Laptop schlapp. Ich hatte mich darauf eingestellt, die asiatische Fußball-WM per Internet zu verfolgen: im Stil der neuen Zeit, auf Abruf, wann ich will, maßgeschneidert und so. Sah ich gar nicht ein, warum ich morgens oder mittags Fußball gucken muss, bloß weil das jetzt alles in Ländern der aufgehenden Sonne passiert. Ist ja irgendwie sittenwidrig, diese Lunchbolzerei.
Aber jetzt ist es erst mal Essig mit der Internet-WM. Ich kann froh sein, wenn ich noch meine Mails durchbekomme. An Surfen ist überhaupt nicht mehr zu denken, die Maschine rödelt nur noch. Aber da steckt was dahinter. Ich neige nicht zum Mystischen; Astrologie und Prädestinationslehren jeder Art sind mir fremd, doch man soll Zeichen zu lesen verstehen. Wenn mein Computer sich verweigert, noch dazu zu einer Zeit, wo er mehr noch als sonst für mich da sein sollte, erhebt sich die Frage, was er mir sagen will. Schon sind wir mittendrin in jenem Mensch-Maschine-Verhältnis, das wir hier provisorisch einmal „Machinalismus“ nennen wollen: die sich immer mehr verbreitende Vorstellung von der Beseeltheit der Maschinen, mit denen wir es täglich zu tun haben.
Soll keiner so tun, als habe er solche Gedanken noch nie gehabt. In dem Maße, in dem wir von Maschinen abhängig und sie zu unseren engsten alltäglichen Vertrauten werden, ist es nur logisch, dass wir ihnen eine eigene Persönlichkeit zusprechen. Hand aufs Herz, wer kann uns besser kennen als unser Computer? Mit wem verbringen wir die meiste Zeit? Mit wem schlagen wir uns tagtäglich herum, wer ist uns andererseits so oft – und dabei meistens ohne Murren – zu Willen? Wem vertrauen wir unbedenklich unsere intimsten Geheimnisse an? Und: Wer wüsste besser, lückenloser, akkurater Bescheid darüber, was wir in den letzten Jahren gedacht, geschrieben, gelesen, mit wem und worüber wir kommuniziert haben? Selbst die gelöschten Liebesbriefe an Clinton hat man Monicas Festplatte noch entrissen. Und solch einem Super-Eckermann gegenüber sollen wir keine persönlichen Gefühle entwickeln? Der soll nicht unser Ratgeber, unser Vertrauter, unser Freund sein? Wie denn nicht?
Nur dass es eben schwer ist, seine Ratschläge richtig zu verstehen, seine Zeichen richtig zu deuten. Hier genau setzt der Machinalismus ein: Ein Computer geht nicht einfach kaputt! Der murrt nicht ohne Grund, der stürzt auch nicht einfach so ab. Und im Stich lassen wird er, der uns kennt wie kein Zweiter, schon gar nicht. Nein, wenn mein kleines Kistchen mir eine Internet-WM durch permanente Ausfälle und endloses Rödeln vermiesen will, dann denkt es sich etwas dabei, dann greift es sinnvoll in mein Leben ein und rückt zurecht, was ich in meiner Verblendung nicht erkennen will: dass es bescheuert ist, eine Fußball-WM im Netz verfolgen zu wollen. Fußball im Internet, das ist wie Schwimmen mit Gummistiefeln. Uwe Seelers AOL-WM- Tagebuch? Irgendwelche WM-Downloads oder Ticker? Ist doch alles nur aufgeblasener, gequirlter, unnützer Quark!
Das ist es, das ist die Botschaft. Ich bin überzeugt, nach der WM schnurrt er wieder ganz normal. Sorgen macht mir nur, dass auch mein guter alter Fernseher dieser Tage den Geist aufzugeben scheint. Noch ein Zeichen. Von einer anderen Maschine. Aber das ist eine andere Geschichte. THOMAS PAMPUCH
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