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Eine Frage der Ehre

Gehört: Theatralische Lieder der kalabrischen Mafia mit Mimmo Siclari ed i Cantori di Malavita im Schlachthof

Mimmo Siclari presst die Hände an die schmale Brust. Sein Gesicht ist schmerzverzerrt. Theatralisch wirft er die Arme in die Höhe. Der 50-jährige Kalabrier mimt den Patron, der gerade erfahren mußte, dass einer seiner Schützlinge ihn verraten hat. Drei Schüsse besiegeln das Ende des Verräters, denn „wenn die Lupara singt, schreit und stirbt das Opfer“, heißt es in dem Text des Stückes. Die Lupara ist die abgesägte Schrotflinte, mit der Verräter gerichtet werden. Das gebietet der Ehrenkodex der kalabrischen Mafia, der Ndrangheta.

Die Texte flimmerten beim Konzert von Mimmo Siclari ed i Cantori di Malavita im Schlachthof in englischer Übersetzung, unterlegt von Schwarz-Weiß-Dias aus der Welt der Mafia Kalabriens, über eine Leinwand. Ohne die Übersetzung könnte man meinen, es handele sich um ein Lied über eine verflossene Liebe. Und Siclari würde man auch diese Rolle abnehmen. Mit dem roten Halstuch im weißen Hemd und seiner roten Weste zur rustikalen Cordhose sieht er aus wie ein ergrauter Gigolo vom Land.

Schon als Junge hat der schauspielerisch talentierte Verehrer der alten Mafia-Legenden Kassetten mit den Liedern der Ndrangheta gehandelt. In den siebziger Jahren begann er, alte Stücke neu zu arrangieren, sie in seinem kleinen Studio neu aufzunehmen und eigene zu schreiben.

Seit zwei Jahren dirigiert der Mann, für den Ehre und Respekt zentrale Begriffe sind, eine achtköpfige Band. Zwei Sänger sind es, die Patron Siclari nach jedem Stück per Bruderkuss ihre Hochachtung erweisen, und die 20-jährige Saveria. Die einzige Frau auf der Bühne trägt ihre Stücke beinahe ausdruckslos vor. Die hohe Kopfstimme beherrscht sie, ebenso wie ihre Kollegen, virtuos. Ein wenig jammervoll klingt dies, was gar nicht zu den blutrünstigen Texten passen will. Das Publikum ist begeistert, feiert die Sängerin, die sich zu mehr als einer kleinen Verbeugung nicht hinreißen lässt.

Erst beim letzten Stück, einer Hommage an den legendären Sänger Fred Scotti, der einem Mafiosi zum Opfer fiel, weil er sich in dessen Frau verliebt hatte, lässt sich Saveria zu einem Lächeln hinreißen. Mimmo Siclari beendete schließlich die Zeitreise in die Lebenswelt der ehrenwerten Gesellschaft, „als ein Freund noch ein Freund war, und Ehre ein Wort, das Gewicht hatte“.

Knut Henkel

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