: Wo Salz die Menschen ernährt
In Thüringen lebte einst eine ganze Region vom Kalisalzbergbau. Nun können sich arbeitslose Bergarbeiter in der Kelten-Therme tummeln und irischem Folk lauschen. Unter Tage fasziniert die Kristallkammer im Besucherbergwerk Merkers
von CHRISTEL BURGHOFF
Unterirdische Glitzerwelten lassen niemanden kalt, denn da locken Schätze, Mythen und Märchen. In der Kristallkammer des Besucherbergwerkes Merkers an der thüringischen Werra sind die Salzkristalle backsteingroß. Mindestens. Die größten messen über einen Meter Seitenlänge. Bizarr türmen und schichten sie sich in einer lang gestreckten Grotte bis in einen schillernden Abgrund hinein. Ein schneeweißes Wunder.
Für Besucher wird es für Minuten in einen intensiven Farbenrausch verwandelt. Im Klangrhythmus einer Ton-Licht-Show flasht die gesamte Farbenpalette über die glitzernden Kristalle, sie lenkt den Blick auf die spektakulären Formen und bis hinein in die versteckten Winkel der Grotte. Genau 851 Meter tief ist es hier und schon recht warm, circa 28 Grad Celsius. Es gleicht dem Fund einer Stecknadel im Heuhaufen, dass man die Kristallkammer im Bergwerk entdeckte. Seit gut hundert Jahren unterhöhlen tausende Bergarbeiter mit schweren Maschinen die Erde, sie legten hunderte von Kilomentern an Tunneln an, doch dieses fantastische Geotop fand sich erst 1980.
Salzkristalle sind keine Diamanten, sie eignen sich nicht für Klunker am Geschmeide. „Wenn Sie Ihr Salzkristall in einem feuchten Raum aufheben, dann es löst es sich bald auf“, sagt Grubendirektor Hartmut Ruck. Wir fahren im offenen Pritschenwagen durch einen Teil der Tunnelanlage und durch Gewölbe, in denen noch schwere Maschinen stehen, eine Berg-und-Tal-Fahrt mit vielen Kurven. Der Fahrtwind bläst ins Gesicht, aber für die Geschwindigkeit stellt sich kein Gefühl ein, so finster wie es hier ist, und die Atmosphäre ist, gelinde gesagt, ungewohnt. An einer Tunnelwand beleuchten die Scheinwerfer des Lkw ein großes Graffiti, hier waren auf Einladung der Grubendirektion Sprayer am Werk.
Einmal in ihrer Geschichte barg die Grube Merkers tatsächlich echte Reichtümer: Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurden hier tonnenweise Goldbarren und Geld und Kunstschätze eingelagert. General Eisenhower nahm sie persönlich nach Kriegsende in Augenschein.
Seit 1991 ist die Grube Merkers ein Besucherbergwerk. Ein Kitzel für Menschen, die mal für einige Stunden unter die Erde wollen. Oder die Konzerte schätzen, die unter Tage gegeben werden.
Die Kristallgrube ist das Zugpferd des Grubentourismus. Die letzten verbliebenen Bergarbeiter arbeiten vor allem an Erdverdichtungen. Zwölf unterirdische Quadratkilometer müssen noch verfüllt werden. Es sind die üblichen Sicherungsmaßnahmen, die nach dem Ende des Bergbaues anfallen, quasi die „Altlasten“. Die zu sanieren, ist der Schlusspunkt einer gut hundert Jahre währenden deutschen Industriehistorie.
Merkers war einmal die modernste der Kaligruben, ein High-Tech-Standort, der mit den neuesten Fördermethoden alle bis dahin bekannten Dimensionen sprengte. Nach Entdeckung der Salzvorkommen an Werra und Ulster Ende des 19. Jahrhunderts hatte in der Region zügig eine Grube nach der anderen eröffnet. Man förderte ausschließlich Kalisalz als Düngemittel für die Landwirtschaft und grub tiefer, als die Berge der umliegenden Rhön und des Thüringer Waldes hoch sind. Bis in Tiefen von über einem Kilometer.
Eine Boomregion im abgeschiedenen Hinterland war entstanden, das Salz gehörte zu den Ressourcen, die Deutschland reich machten. Bis zum Ende der Ersten Weltkrieges hielt Deutschland das Kali-Weltmonopol. Mit der deutsch-deutschen Grenze wurde nach dem Zweiten Weltkrieg auch das Salzrevier geteilt: Merkers lag fortan in der DDR.
Das Aus für Merkers kam mit der „Wende“. Die Kali + Salz (West) fusionierte mit der Mitteldeutschen Kali (Ost). Aus ökonomischen Gründen wurde etliche Gruben stillgelegt. Die Region sah sich mit Arbeitslosigkeit konfrontiert. Auf diese soziale Katastrophe machten vor allem die Bischofferoder Bergarbeiter aufmerksam, die aus Protest gegen die Grubenschließungen in den Hungerstreik gingen.
Heute spricht man in dieser Region von einer gewissen Normalisierung. Hartmut Ruck verweist auf das moderne Gewerbegebiet, das auf dem Grubengelände von einst entstanden ist. Und Umweltschützer sind erleichtert, weil die Werra vom steten Salzzufluss entlastet wurde. Dieser Fluss war nämlich oft salzhaltiger als die Ostsee.
Das Salz ist dennoch zentrales Thema der Region geblieben. Im nahe gelegenen Bad Salzungen geht es um die Sole. Wenn Kurdirektor Dieter Hartmann vom Salz redet, dann bedeuten hundert Jahre quasi nichts. Hartmann hat übers Salz die Kultur der Kelten entdeckt. Niemand weiß Genaues über sie, aber es gibt archäologische Funde und Belege lange zurückliegender Salzgewinnung aus den örtlichen Solequellen. Salz war lebensnotwendig, nicht zuletzt erwies es sich auch als heilkräftig. Die warme Quellsole lindert Rheuma, repariert bestimmte Hautschäden, salzhaltige Luft in der Nähe von Gradierwerken heilt Bronchialkrankheiten.
Im Zuge der Sanierung hat Dieter Hartmann das traditionsreiche Salzunger Solebad schlicht „Keltenbad“ getauft. „Wir brauchten einen Aufhänger“, sagt er und freut sich nun, eine Nische im hart umkämpften Wellness- und Kursektor besetzt zu haben. „Ein Keltenbad gibt es nur einmal, und dabei bleibt es auch“, meint Hartmann, denn er hat sich den Namen schützen lassen. Die Kelten-Nische entdeckt man allerdings erst auf den zweiten Blick. Die Salzunger Kuranlage ist ein architektonisches Kleinod aus filigranem Fachwerk, weiß mit dunkelbraunen Balken und mit Kupferdächern und -türmen versehen. Die Gradieranlage gilt als die schönste Deutschlands. Originalgetreu wurde der Eingangsbereich mit den medizinischen Einrichtungen wieder aufgebaut. Erst im dahinter liegenden Wellnessbereich, der in die Wiesen der Werra hineinreicht, wird es „keltisch“. Das heißt: moderne Rundbauten für Bäder und Saunen („rund wie bei den Kelten“, Hartmann), warme, kräftige Farben wie Ocker, Ochsenblutrot und Blau („keltische Erdfarben“), eigenwillige Namen wie etwa „Druiden-Schwitze“ oder „Erdhöhlen-Schwitze“, eine Sauna mit Kamin, die tatsächlich unter einem Erdhügel im Freien eingerichtet ist. Weil Hartmann, wie er sagt, „Spaß-Erlebnis-Bäder“ im „aufgesetzten“ Stil nicht gut leiden kann, hält sich der Kelten-Look in Grenzen. Er ist vor allem gut für das Profil der Anlage, für Souvenirs und Gestaltungsformen und Gravuren an Glastüren, die modernen Tattoos sehr ähnlich sind.
Keltische Barden liefern die Musik. Leise zupfen, geigen und flöten sie, aus den Lautsprechern unter Wasser klingt es wie eine ferne Melodie von den irischen Highlands. Wir schweben in der warmen Sole, perfekt austariert beim hochprozentigen Salzgehalt. Hebt man den Kopf, dann geht der Blick ins satte Grün der Werrawiesen. Gut zu wissen, dass noch viel Salz unter der Erde lagert.
Info: Erlebnis-Bergwerk Merkers, 36267 Philippsthal, Tel. (0 36 95) 61 41 01; www.k-plus-s.com. Keltenbad, 36433 Bad Salzungen, Tel. (0 36 95) 69 34-0; www.keltenbad.de
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