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Vom Geist her viel Spirit

Die DFB-Auswahl richtet sich an einem nebulösen Gemeinschaftsgefühl auf. Nach Torwart Oliver Kahn ist auch Abwehrspieler Jens Jeremies vom Glauben an den unbedingten Erfolg erfüllt

aus Cheju FRANK KETTERER

Vor einiger Zeit wurde der Münchner Fußball-Profi Jens Jeremies noch sanft belächelt, wenn er frisch-fromm-fröhlich-frei den Grund benannte, der ihn in bald ins ferne Asien treiben würde – er stand damit ja auch ziemlich alleine. „Selbstverständlich will ich dort Weltmeister werden“, beschied der 27-Jährige Fragen mit großer Selbstverständlichkeit. Als der Reihe nach die Herren Scholl, Nowotny und Wörns aus unterschiedlichen Gründen ihren Dienst am Vaterland quittierten, weigerte sich der Mann mit dem Terrier-Image standhaft, sein Reiseziel zu ändern oder es auch nur zu überdenken. Die Kunst des geordneten Rückzugs gehört nicht zu den herausragenden Stärken von Jeremies, lieber lässt er sich des Größenwahns und der Fantasterei bezichtigen.

Mittlerweile, nachdem diese WM auch schon wieder 19 Tage alt und die deutsche Mannschaft immer noch mit dabei ist, wird der Münchner Fußballprofi Jeremies für seine Vorhersage von niemandem mehr belächelt, sondern allenfalls gefragt: „Herr Jeremies, fühlen Sie sich mittlerweile als Prophet?“ – „Ich würde mich nicht als Prophet bezeichnen“, antwortet er in einem Zack-zack-Ton, der an einen Kasernenhof erinnert. Er habe einfach von Anfang an geglaubt, „dass wir eine gute Mannschaft haben“. Dass auch die durchaus in der Lage ist, ein eher bescheidenes Spiel wie im Achtelfinale gegen Paraguay abzuliefern, sieht „Jerry“, wie ihn die Kameraden nennen, nicht weiter als Problem an: „Gegen Paraguay haben wir nicht den besten Fußball gespielt. Aber bei so einer WM muss man gerade solche Spiele gewinnen, um weit zu kommen.“ Es klingt wie beim Rapport.

Es heißt, Jens Jeremies sei, neben Torhüter Oliver Kahn, für den Siegeswillen der deutschen Mannschaft zuständig, obwohl er doch erst einmal von Beginn an gegen Paraguay mit von der Partie war. Jerrys Wille aber, in Asien tatsächlich Großes zu vollbringen, ist so überall spürbar, wo er auftaucht, nicht nur wenn er auf dem Podium des Presseraumes sitzt, vorausblickt auf das Viertelfinale am Freitag gegen die USA und Sätze sagt wie: „Ich denke, wir glauben an unsere Chance.“ Oder: „Wenn alle ihr Potenzial abrufen, sollte auch diese Aufgabe machbar sein.“ Schließlich, nach der Chance auf den Einsatz der eigenen Person gegen die USA befragt, meint er: „Wir sind elf Spieler, da ist es egal, wer auf dem Platz steht.“

Vermutlich glaubt Jeremies das wirklich, auch wenn er keinen Hehl daraus macht, gegen die USA spielen zu wollen. Und dass er so denkt, hat freilich weniger mit Selbstaufgabe zu tun, als mit der Erkenntnis, dass die derzeitige Ansammlung deutscher Fußballspieler in Asien in all ihrer fußballerischen Beschränktheit als Team tatsächlich bestehen kann. „Wir haben einen gewissen Spirit reingebracht“, formuliert das Jeremies, der vor zwei Jahren bei der EM in Belgien und Holland noch als einer jener galt, die gegen Bundestrainer Ribbeck rebelliert hatten. Vielleicht sagt er das mit dem Spirit auch deshalb mit hörbarem Stolz in der bellenden Stimme. Auch Kahn, der einzige Spieler von echter Weltklasse im DFB-Kader, erwähnt schließlich diesen Spirit, diesen Geist, der aus Mittelmaß durchaus Weltmeister machen kann oder doch zumindest Halbfinalteilnehmer.

Im Fall der deutschen Mannschaft startet Oliver Kahn einen Erklärungsversuch, wenn er nach dem Unterschied sucht zwischen jenem zerstrittenen und meuternden Haufen, der vor zwei Jahren bei der EM noch sang- und klanglos unterging, und der Mannschaft, die hier in Asien überrascht, obwohl sie sich doch zu einem Gutteil aus demselben Personal zusammensetzt. „Gerade diese Spieler wollen zeigen, dass das bei der EM nicht das wahre Gesicht des deutschen Fußballs war“, erläutert Kahn, und natürlich kommt er dann auch auf Völler zu sprechen, den Teamchef, der immer für den Geist eines Teams zuständig ist. „Er ist ruhig. Er verliert nie die Nerven“, beleuchtet der Keeper die Dinge. Sein „taktisches Meisterstück“ habe Völler schon abgeliefert, in der zweiten Halbzeit gegen Kamerun nämlich, als Ramelow vom Platz geflogen war und der Teamchef die Abwehr ummodelte, was letztlich der Schlüssel zum Erfolg war, und, so Kahn, den Spielern das Gefühl vermittelt habe: „Er kommt mit der Situation zurecht.“

Vor allem aber: Völler steht bedingungslos zu seinen Spielern, zumindest in der Öffentlichkeit, wovon er gestern wieder eine Kostprobe abgab, als es zu erklären galt, warum er sich so ungewohnt harsch und damit unvöllerisch gewehrt hatte gegen die Kritik an der Mannschaft (siehe nebenstehende Kolumne). „So lange ich Teamchef bin, stehe ich tausendprozentig vor den Jungs. Es ist meine Aufgabe, die deutsche Nationalmannschaft bis aufs Letzte zu verteidigen“, gab der Teamchef bekannt. Die Spieler scheinen es ihm zurückzuzahlen – mit jeder Menge Spirit.

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