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fish’n’chips gegen das böse von WIGLAF DROSTE

Die Fußball-WM bringt nichts Neues hervor – das Unangenehme, das immer schon da war, tritt bloß ungenierter und deutlicher zutage. Der Banalist Gerhard Schröder zeigt sich beim erfolgreich schlechten Einsnull der Deutschen gegen Paraguay demonstrativ jubelnd; seltsam, dass die an Iris Berben und Oliver Kahn geschulte, chronisch aufgerissene Kanzlermundhöhle als populär empfunden wird und nicht als unangemessen.

Auch Homosexualität schützt nicht vor Abgründen, warum auch? Ein schwuler Journalist brüstet sich damit, auf Carsten Jancker zu stehen. Da der Mann auch sonst äußerst schlichten Geistes ist, sei ihm sein Abgeschmack auch in dieser Höhe von Herzen gegönnt.

Selbst gütige und kluge Köpfe werden vom Fußball perforiert. In gestandenen Agnostikern macht sich dunkler Aberglaube breit: Zur Unterstützung der favorisierten Mannschaft wird etwas Landesübliches gekocht! So gesehen ist das frühe Ausscheiden der Franzosen und der Italiener wirklich bitter. Adieu, Filet mignon, arrivederci, Involtini! Was aber soll einer kochen, der England weiterhelfen will? Wie soll man eine englische Mannschaft kulinarisch nach vorne bringen? Etwas Leckeres würden die Spieler nicht erkennen. Was Engländer sich selbst als Nahrung vorsetzen, ist nur mit tiefem Selbsthass zu erklären. Wie kamen die Briten einst zu ihrem Kolonialreich? Das Essen zu Hause war lausig, mit knurrenden Mägen stachen sie in See, und wo immer sie landeten, war es besser als daheim.

Und doch ist es möglich, eine englische Mannschaft kochend zu unterfüttern. Ich weiß es, ich habe es getan, am 26. Mai 1999, als Manchester United das Champions-League-Endspiel gegen Bayern München spielte – und gewann, nicht zuletzt dank meiner Hilfe. Und die hieß Fish’n’chips. Gewaltige Opfer mussten gebracht werden: Eine Friteuse kam ins Haus – und das mir! Es war ein wäscheschleudergroßes Trumm, vom Besitzer frisch gereinigt und mit neuem Fett gefüllt. Seehecht und Kartoffeln waren gekauft und in hand- wie mundfertige Teile geschnitten worden; alles lag bereit, den Friteusentod zu sterben.

Und den starben wir. So gut die Zutaten und so frisch Fett wie Friteuse gewesen waren – die Küche stank, sie stank noch tagelang. Die Friteuse ist das Böse, ihrem Niedergang hat all unser Ringen zu gelten – und doch war sie die Ultima Ratio gegen das Beckenbauerböse. Tapfer frittfrattete ich, trug den Gästen auf, sah das Einsnull der Bayern, wollte resignieren, den Glauben an den eigenen Zauber schon verlieren, stürzte noch einmal in die Küche zurück und bereitete, im öligen Dampf stehend, weitere Portionen zu, servierte abermals und – der Rest ist Geschichte. ManU hatte gewonnen, und das Raubtiergebiss Oliver Kahns blieb ausnahmsweise und sehr zivilisationsfördernd geschlossen. Aus der heutigen Rückschau scheint es glasklar: Ohne Oliver Kahns öffentlichen kranken Ehrgeiz wären die Amokschüsse von Erfurt nicht möglich gewesen. Bliebe seine wie des Kanzlers Klappe geschlossen, es wäre viel gewonnen.

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