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In der roten Hölle von Bremen

150 Teufel in der Uni: Rote T-Shirts, Yings und Yangs auf den Backen, Fähnchen schwenkend und Chips mampfend ertrugen sie die Niederlage – und die Aussprache von Heribert Faßbender

Tränen und Trauer im Stadion, gestauter Frust bei den Koreanern in Bremen Einer klatscht sogar contenant in die Schreckensstille nach dem Ballack-Tor

Als ehrlich und direkt gilt der Teutone in Korea, „früher auch als Workaholic “, meint Joo-Yeon. Nach Pleitenwelle und Pisa sei der Ruf des Deutschen in Fernost mittlerweile aber vor die Hunde gegangen, bedauert die 20-jährige Klavier-Studentin aus Seoul, die seit zwei Jahren in Bremen lebt. Tja, und „so Sole-Mio-Typen“ seien die Ramelows und Neuvilles nun auch nicht.

Vielleicht hat sich seit gestern ihre Einstellung leicht geändert. Eins zu null für Deutschland – aber die Bremer Koreaner schrien trotzdem tapfer weiter: „Dae-Han-Min-Kuk“ (wörtlich: „Groß-Korea-Volks-Land“) oder „O Pilsung Korea“ – ungefähr „Korea muss unbedingt gewinnen“.

65.000 „rote Teufel“ in der „Hölle“ von Seoul, 150 Koreaner in der Glashalle der Bremer Universität. Tränen und Trauer im Stadion, gestauter Frust bei den Bremer Südkoreanern: Einer klatscht sogar contenant in die Schreckensstille nach dem Ballack-Tor. Aber der Schock ist schnell vergessen, Joo-Yeon ist versöhnt: „Niemand hat sich das doch vorstellen können: Erst Achtel-, dann Viertel- und jetzt das Halbfinale!“, seufzt sie und schlägt vor Verzückung die Arme vor dem Kopf zusammen. Und – auch ein dritter Platz bei der WM wäre ja schon eine Sensation.

Angeblich sollen die Fernostler ja so zurückhaltend sein, auch die mit dem „südlichen“ Temperament, die Koreaner. Davon war gestern in der von Studis organisierten Halbfinal-Party in der Uni nicht viel zu spüren.

Rote T-Shirts, Ying und Yangs auf den Backen, Fähnchen schwenkend und Chips mampfend sitzen ganze Familien in der Universität, um ihre Jungs siegen zu sehen. Trommeln, Fähnchen und ein Einpeitscher, der die Fans bei jeder verpassten Chance von Rudis Buben zum Gegenangriff treibt, inklusive. Zwischen zwei Säulen sind Fähnchen mit Fotos der Stars gespannt, in der Pause dröhnen koreanische Karaoke-Schlager aus den Boxen – „Komm in mein Appartment“ heißt einer, der „Mein Bett im Kornfeld“-Qualitäten haben soll. Das bremische Korea ist monsterstolz auf seine Elf – und hat sich mittlerweile auch schon an die deutsche Aussprache der Spielernamen gewöhnt: „Wir sind trainiert“, sagt einer. „Mittlerweile verstehen wir sogar Heribert Faßbender.“ Jede Ballberührung wird frenetischst beklatscht, die Uni-Halle gerät total aus dem Häuschen, wenn die Kicker um den „Maskenmann“ über die Mittellinie auf Kahn zustürmen. Schrillste Ekstase auf Harakiri-Level kommt aber erst auf, als Superstar Ahn eingewechselt wird. Dafür andächtiges Raunen, als Oberrumpler Bierhoff in der 70. Minute für Klose kommt. Die Langnase sei „sooo groß“, fürchtet eine Koreanerin.

Das gutdeutsche Bremen dagegen benahm sich weiter daneben. Autocorsi und Hupkonzerte in der Stadt, Osterdeich und O-Weg sind zeitweise blockiert, Polizeisirenen dröhnen am Abend durch Bremen. Ein Polizeisprecher vermittelt Gelassenheit: „Das ist wie am Samstag: Halligalli total.“ Erst als die Spacken mit den Deutschlandflaggen und Plastik-Pokalen an der Domsheide die Strabas blockieren, wird es wirklich putzig. Ein kleiner Junge meint: „Die sind aber schnell aus dem Weserstadion hierhingekommen“.

Kai Schöneberg

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