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fernöstlicher diwanEine WM-Nimmermüde bilanziert

Rote Bete statt Wildlachs

Oh, hätte ich mich doch vor dieser Fußballweltmeisterschaft selbstständig gemacht und ein Wettbüro eröffnet. Schon nach der Vorrunde hätte ich in angenehmen Verhältnissen leben können, und jetzt, kurz vor den letzten beiden Spielen, wäre ich längst reich. Ich könnte meine Fußballguckgemeinschaft mit irischem Wildlachs zum Frühstück und französischen Wachteln zum Mittagessen bewirten, eine Großleinwand installieren und eine Gesellschafterin für das knapp vierjährige Fräulein Z. anstellen. Stattdessen reicht es heute Abend nur für Rote Bete und Lamm, wenn wir uns zu einem vorzeitigen Abschlussessen treffen, das uns vor allem trösten soll.

CAROLA RÖNNEBURGS WMMein Spieler: bleibt Zidane, der bis zur EM wieder in Form sein wird.Meine Mannschaft: meine Fußballguckgemeinschaft. Ausdauernd, engagiert, leidenschaftlich.Mein Weltmeister: Hm. Letzter Einsatz bei einer Wette mit Patenneffe Simon: Vier Gummiglibberhände auf die Türkei.

Denn schließlich sind wir nicht so gut gelaunt. Zwar strahlt unser Deutschland-Gastgeber, Herr G., wenn er daran denkt, dass er nunmehr seit 28 Tagen die Spiele der deutschen Nationalmannschaft ausrichten darf. Niemals hätte er erwartet, so viele Brezeln servieren zu müssen! Und dennoch ergreift uns immer wieder Schwermut. Vor wenigen Wochen diskutierten wir noch, ob wirklich jedes Spiel live gesehen werden muss, zum Beispiel Argentinien gegen Nigeria um 7 Uhr 30 (!) oder der unattraktive Kampf um den dritten Platz.

Doch nun ist schon bald alles vorbei. Noch wacht man auch ohne Wecksignal um acht Uhr auf, duscht und hat doch nicht mal Zeit, Vorfreude zu entwickeln, weil man viel zu müde ist und erst einmal eine Riesenportion Kaffee kochen muss. Eine halbe Stunde später stellt sich dann allerdings heraus, dass ja längst keine Frühspiele mehr auf dem Plan stehen, gar ein vollkommen spielfreier Tag dräut und deshalb auch niemand klingeln wird, um Fußball zu gucken. Bar jeder Struktur verläppert sich alles. Was vorher mit Verve zwischen den Partien erledigt wurde, bleibt jetzt liegen oder kann auch auf morgen verschoben werden.

Immerhin aber folgt etwas: das nächste Spiel, die nächste Hoffnung, der nächste Linienrichter, entsprechend womöglich die nächste Demütigung. Es sei an dieser Stelle gesagt, dass man sicherlich nicht wie der Präsident des AC Perugia reagieren und Jung-Hwan Ahn Spielverbot erteilen muss, wenn die eigenen Landsleute gegen Südkorea verlieren. Was hätte denn da Reiner Calmund tun sollen, falls die Türken das Endspiel erreicht hätten und dort ausgerechnet Yildiray Bastürk „den Sack zugemacht“ haben sollte, wie wiederum wir Fußballguckgemeinschaftler sagen?

Auch sind es keine „Tricks von Sepp Blatter“, wie die Gazetta dello Sport sich empörte, sondern schlichtweg Blatters Stimmvieh-Konzept, das inkompentes Personal aus aller Herren Länder über kritische Situationen entscheiden ließ. Aber hier liegt der koreanische Speisehund begraben: Da lassen nun alle Nationen ihre besten Spieler auflaufen, aber die Fifa keinesfalls ihre besten Schiedsrichter. Sosehr auch Südkoreas Mannschaft durch ihre Lebendigkeit und ihr angelerntes, aber begabtes Publikum aufgefallen sein mag: Mit einem Markus Merk im Italien-Spiel und einem Pierluigi Collina bei der Begegnung mit Spanien wäre das Halbfinale anders verlaufen.

Aber ich gebe zu, dass sich unser Mitleid mit den trägen Italienern und ihrer Selbstzufriedenheit nach einem schmalen Führungstor in Grenzen hielt. Dass Spanien traditionell tragisch scheitern würde, war uns auch schon vorher schmerzhaft bewusst gewesen, nicht zuletzt, weil ich das schon ungefähr einhundertmal prophezeit hatte. Schönreden, wie es derzeit en vogue ist („Wer hätte gedacht, dass Südkorea …“), gilt aber nicht, und auch nicht anderswo: Die deutsche Mannschaft hat nicht allein gegen die USA ein unerträgliches Spiel abgeliefert, sondern war schon vorher „erfolgreich schlecht“ (sagt Herr O.).

Und trotzdem wird uns viel fehlen ohne die Weltmeisterschaft, wenn der Tag nicht mehr Fußball ist. Mag sein, dass wir irgendwann einmal ins Kino gehen, anstatt Versäumtes abends nachzuholen. Wahrscheinlich gehen wir mittags auch wieder ans Telefon und treffen uns mit Menschen, die Fußball immer erst ab dem Viertelfinale interessiert. Beizeiten sprechen wir dann über die kommende Europameisterschaft und wie schön es sein wird, sich den ganzen Tag auf komplett verplante Nachmittage und Abende zu freuen. Vorher aber gucken wir uns jede Sekunde des Spiels um den dritten Platz an.

CAROLA RÖNNEBURG

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