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Techno-Gewitter über Brandenburg

An den Wochenenden ist auf dem Land die Hölle los. Zum Beispiel auf dem ehemaligen Militärflugplatz Niedergörsdorf. Dort trifft sich zweimal im Jahr die Raver-Szene zum 17-stündigen DJ-Marathon mit Techno-Beats, Nebelmaschinen und Red Bull

„Selbst die Dixie-Toilettenhäuschen wackeln ergebenim Takt mit“

von CHRISTINE BERGER

Die Hangars sehen aus wie riesige Backöfen. Dichter Rauch quillt heraus, ein Licht wie von lodernden Flammen züngelt in die Nacht. Heiß ist es drinnen, stickig, und wäre man ein Brot, man würde nach gewisser Zeit wieder rauswollen. Doch die Raver, die sich an diesem Abend auf dem Flughafen Niedergörsdorf im gottverlassenen Fläming versammelt haben können gar nicht genug kriegen von der Hitze, dem Rauch und – vor allem – von den Beats.

Und die gibt es mehr als genug. Schon auf dem riesigen Parkplatz hundert Meter vor den Hangars trommeln sie im Ohr, locken die Szene aus allen Ecken Sachsens, Berlins und Brandenburgs. DJ Westbam, Housewart, Frank Müller – alles, was Turntables bedienen kann und Massen mitreißt, hat sich angekündigt, und das ist für die Kids zwischen 17 und 25 Jahren Grund genug, von weither anzureisen, 20 Euro Eintritt zu löhnen und sich die Trommelfelle zugrunde richten zu lassen.

Das Programm kann sich sehen lassen: 17 Stunden lang wechseln sich in fünf ehemaligen Flugzeuggaragen rund fünfzig DJs ab. Konversion One nennt sich die Veranstaltung, die in der Region seit zwei Jahren als alljährliches Party-Highlight gilt. Videoscreening, Nebelmaschinen und Lichttechnik sind perfekt in Szene gesetzt, der Sound ist ohrenbetäubend. Besonders beim Red-Bull-Pavillon zwischen den Hangars. Dort vermischen sich die Stilrichtungen Techno, Elektro, House und Chill zu einem undefinierbaren Brei, und man wundert sich, dass der Vollmond, der satt und schwer über dem Flugplatz hängt, angesichts des Klanggewitters nicht schon längst abgefallen ist.

Doch das alles ist eine Sache der Gewöhnung, und wer sich jedes Wochenende mit Hardcore Techno wie Gabber oder Schrunz zudröhnt und dazu ein paar Pillen einwirft, findet den Sound an diesem Samstagabend schwer in Ordnung. Zum Beispiel Mathias. Der 20-jährige verkauft Bier, Wasser und Red Bull neben dem Hangar mit der House-Musik. Bis um sieben Uhr morgens geht seine Schicht, was er verdient, weiß er noch nicht. „Das ist doch ein super Job“, meint er nur und erzählt, dass er bald für ein halbes Jahr nach Ibiza geht, um dort seine Bierverkaufsqualitäten in den dortigen Techno-Clubs zu verfeinern. Gelernt hat er eigentlich Bürokaufmann, „ aber hier auf dem Land kannst du das vergessen“, sagt er trocken. Durch seinen Bruder ist er in die Rave-Szene geraten, und etwas Besseres kann einem im Fläming vielleicht wirklich nicht passieren.

Der einzige Hangar, in dem man sich unterhalten kann, ist der mit der Nummer vier. Ein gutes Dutzend Sofas laden zum Entspannen ein, so genannte VJs sorgen von ihren Computermonitoren aus für wechselnde Bilder an den Wänden. Hinter einem Fischernetz legen DJs sanfte Chill-Töne auf. Hier wird geknutscht, gekifft und geschlafen, und je später die Nacht, desto voller der Hangar. Dass hier einmal Kriegsherren in ihre Flieger gestiegen sind, erscheint angesichts der zufrieden entrückten Gesichter wie ein schlechter Witz.

Ann-Cathleen mag gar nicht woanders hingehen. Mit Techno hat die Studentin gar nicht so sehr viel am Hut, und eigentlich ist sie nur aus Braunschweig angereist, um einen Freund zu treffen, der an diesem Wochenende auflegt. Mit ihren 25 Jahren findet sie sich außerdem schon fast zu alt für die Veranstaltung, und dass sie Bauingenieurwesen studiert, ist ihr auch ein bisschen peinlich. „Das ist doch voll das Klischee“, sagt sie und weiß selber nicht welches.

Klischee sind auf dem ehemaligen Flugplatz wohl eher die anderen. Diejenigen Muskelmachos die ihre bloßen Oberkörper und Stiernacken DJ Westbam entgegenschleudern, wenn der militärmäßig seine Stampfbeats in die Runde schickt. Und auch die halbnackten Mädels mit den Tätowierungen kurz über der Poritze und den kunstvoll geschnürten Oberteilen aus Lackleder kennt man nicht zuletzt von der Love Parade. Das ist vor allem das aufgebrezelte Landvolk, das sich zwischen den Großstadkids immer ein bisschen peinlich ausnimmt.

Wirklich originell sind im Grunde genommen nur die DJs selber. Wie sie die Massen mitreißen und die Leute dazu bringen, zehn Stunden am Stück durchzutanzen grenzt an Magie. Selbst die Dixie-Toilettenhäuschen sind ihnen zu Diensten und wackeln ergeben im Takt mit. Da heißt es festhalten, will man nicht die Klobrille treffen.

Im Hangar mit dem Elektro-Sound ist um drei Uhr morgens keine Handbreit Platz zwischen den Tanzenden. Northern Lite, die live mit E-Gitarre und verknarzter Rockstimme die Kids begeistern, sollen eine Zugabe geben, aber dafür ist keine Zeit. Wie eine gut geölte Maschine spult das Programm ab, und die nächsten DJs stehen pünktlich auf der Matte, um den Faden weiterzuspinnen, der die unzähligen Gigs verbindet.

Und dann geht endlich die Sonne auf. Hinter den Hangars erstreckt sich plötzlich das weite Land, eine Krähe kreist am Firmament. Etliche Raver sind auf die Hangars gekraxelt, um sich von oben einen Überblick zu verschaffen und zu schauen, ob das Zelt, das am anderen Ende des Geländes steht, nicht von fremden Gästen besetzt wurde. So riesig, wie einem in der Nacht die Partyzone schien, ist sie angesichts der Weite plötzlich gar nicht mehr. Und das Volk, was zwischen den Hangars hin und her wuselt, dürfte nicht mehr als 1.000 Nasen zählen. Etliche sind wohl auch schon wieder davongefahren oder in ihre Zelte und Autos zum Pennen verschwunden. Die Musik jedoch, die bleibt. Noch Stunden später auf der Autobahn geht Westbams „Have Fun“ nicht mehr aus dem Ohr, und es braucht mindestens zwei Tage, um wieder einigermaßen seine Sinne beisammen zu haben. Jedenfalls, wenn man älter als Dreißig ist.

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