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Die Dotcoms gingen am Scheidungsrecht zugrunde!

Chill-out im Bobo-Bezirk

„Also, seid Eddy da ist, komm’ ich kaum noch in Clubs“, meinte die junge Mutter zu ihrer Freundin auf der Berliner Raumerstraße. Eddy musste ihr im Kinderwagen liegender Sohn sein. Ähnlich klang das Geständnis einer anderen Mutter in den Allee Arcaden: „Ich überlege jetzt immer dreimal, auf welche Party ich gehe. Jedesmal haben wir Ärger mit Julia, entweder schreit sie die ganze Nacht oder ihr Babysitter muss ganz früh nach Hause – und dann kostet das auch immer so viel.“

Der Einzelhandel in Prenzlauer Berg hat sich bereits auf diese nun wieder tagaktive Klientel der Techno- und Tattoo-Mütter eingestellt: Überall machen Läden mit Secondhand-Kinderklamotten auf und die Kreativ-Galerien richten Spielecken ein. Selbst die Partymanager sind alarmiert und denken über neue Angebote – „Kid-Events“ „Mother-Daughter-Kisses via Camera“ etc. – nach.

Gleichzeitig klagen immer mehr Partyveranstalter und Location-Manager über Besucherschwund – der allzu aufwändig aufgemotzte Veranstaltungsort Kulturbrauerei musste bereits Konkurs anmelden. Die meisten Freizeit-Urbanisten gehen jedoch davon aus, dass die jungen Ehefrauen schon in wenigen Jahren wieder solo ausfliegen – nachts.

Dem möchte das deutsche Scheidungsrecht derzeit zuvorkommen! Bisher war man im Familienministerium fast feministisch eher auf materielle und soziale Gleichstellung der Frauen bei Sorgerecht und Unterhaltspflicht nach der Trennung aus. Es wurde da ein die Gebrauchs- wie Tauschwertproduktion gleichermaßen berücksichtigender Güterausgleich angestrebt. Die Penner-Zeitung Praline prägte dafür das abfällige Wort „Permabrunft“. Nun schlug jedoch bei den entscheidenden Ministerien der Widerstand der neuen Gutverdiener männiglich durch. Und so ist auch hier bereits die Rede von einer „Mattusek-Rente“. Gemeint ist damit ein Verdachtsausgleich bei solchen Fällen, in denen die junge Frau sich mit einem Kind nach der Scheidung finanziell weitaus besser stellt als bei staatlicher Mindestalimentierung. Bis dahin wurde eher umgekehrt die Unterstützung für allein erziehende Mütter regelmäßig angehoben. Dies ermunterte dann wiederum die noch-fast-frisch-verheirateten Geschäftsführer der E-Commerce-Firmen und des E-Designs, gleich reihenweise Konkurs anzumelden, um sich so rechtzeitig und gänzlich vorm Ehegattensplitting zu drücken.

Die betrogenen Ehefrauen rächten sich bitterlich: Sie wählten vier aus ihrer Mitte, die sofort zum Springer Verlag tigerten und dort die „ganze Wahrheit“ über das Silikon-Valley in der Chausseestraße erzählten. Die daraufhin auch in anderen Medien einsetzende Berichterstattung über die Net-Branche riss sogar noch die restlichen Firmen – von Unverheirateten und Lesben – in den Abgrund, zuletzt musste sogar Pixelpark einen Betriebsrat zulassen, der als Letzter das Licht ausmacht, und bei der Netzeitung zuckte Bertelsmann ebenfalls sukzessive seine Zuschüsse zurück. Dort will man sich sowieso mittelfristig wieder mehr auf seine Kernkompetenz – dem Verkauf von pietistischer Erbauungsliteratur – besinnen.

Dieser ganze Fall – vom Mütterdialog in der Raumer bis zum Konzernbeschluss in Gütersloh – ist noch Teil jener Restaurationsphase, die mit dem Zerfall der Sowjetunion anfing und mit den ersten russischen Müttern in Berliner Problembezirken noch lange nicht aufhört. Tatsache ist jedoch bereits, wie der SFB in Moskau und Kornel Miglus in Sewastopol gerade herausfanden, dass die deutschen Mittelschichtmänner mit der sich anbahnenden Korrektur des Sorgerechts zu ihren Gunsten merklich an Attraktivität einbüßen – was sich schon bis an den Ural herumgesprochen hat. Wenn 1996 von 100 sich einen ausländischen Ehemann suchenden Sowjetfrauen noch neun einen Deutschen bevorzugten, dann waren es 2000 nur noch vier, und diese wollten sich sogar noch mit einem Spätaussiedler zufrieden geben. Gleichzeitig sanken auf dem grauen Markt die Heiratspreise für Ehemänner mit deutschem Pass von einstmal 40.000 Mark als Höchstangebot runter auf schlappe 800 – allerdings Euro! Auch hier kann man wieder sagen: Die ganzen Techno-Bräute, die seit der Wende in die hauptstädtischen Clubs strömten – zumeist aus den sächsischen und süddeutschen Groß-Discos –, haben die Preise versaut! Zuvor hatte bereits der Westberliner Altkommunarde Fritz Teufel geschimpft: „Die ganzen Ostler versauen uns die Preise!“ Er meinte damit das Honorar für Fernseh-Talkshows, bei denen die meist bärtigen Väter der DDR-Bürgerrechtsbewegung angeblich zu jedem Preis auftraten. Das kann man von der neuen Mütterbewegung nicht sagen. HELMUT HÖGE

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