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hakenkreuzzug für möllemann: der geist schläft tief in schlingensief von WIGLAF DROSTE

Kunst kann eine Waffe sein. Wer sie wählt, soll nach einem Waffengang nicht behaupten, er habe nicht gewusst, was er tut. Es zeugt weder von Intelligenz noch von Integrität, wenn der Theatermann Christoph Schlingensief mit großem Medientamtam erst „Tötet Möllemann!“ brüllt – und dann hinterher unwahrerweise behauptet, er habe zwischen den beiden Wörtern „eine dramaturgische Pause“ gemacht, also etwas ganz anderes gesagt. Und sich blitzschnell auf einen „Kunstkontext“ zu berufen, sobald man beim Wort genommen wird, wirkt auch eher schlapp.

Christoph Schlingensief hat in den zehn Jahren seit seinem grandiosen Film „Terror 2000“ viel von seiner Provokationskraft eingebüßt – der Eindruck wuchs, hier spiegele sich ein Regisseur mehr und mehr in den medialen Reaktionen auf seine Inszenierungen, deren Substanz gleichzeitig gegen null tendiert. Die Medienmaschine weiß Schlingensief zu füttern – und tut es geradezu zwanghaft, als könne er ohne den Schaum, den er schlägt, selbst nicht mehr arbeiten und leben. Warum jemandem bei so etwas zusehen? Eine eher gleichgültige Wahrnehmung der Aktionen Schlingensiefs verdankt sich der Einsicht, dass nichts so ermüdend ist wie die Wiederholung des immer Gleichen.

„Tötet Kohl!“, hatte Schlingensief 1997 auf der documenta gefordert – ganz uneigentlich, als Kunst, versteht sich, und war auf offener Bühne verhaftet worden. Fünf Jahre später schreit er analog: „Tötet Möllemann!“ – als gelte es, schon vor der Zeit ein Sommerloch nutzbringend mit sich zu stopfen. „Werden Sie Selbstmordattentäter!“, schlug er dem Internetpublikum vor und verwendete im Zusammenhang mit der FDP auch „Kennzeichen verfassungswidriger Organe“ – wie Juristen Hakenkreuze, SS-Runen und ähnlichen Schangel nennen. Schlingensief wurde, was er nicht ist: ein Fall für den Staatsanwalt. Und Jürgen Möllemann, ganz Guterbürger, zeigte Schlingensief an, wegen des Aufrufs zu einer Straftat.

So bekam der FDPopulist einen Pro-Möllemann-Hakenkreuzzug geschenkt. Soeben vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen, kann sich Möllemann, der Schöpflöffel des deutschen Antisemitismus, erneut in seiner Lieblingsrolle sielen: als Angegriffener und Verfolgter, als mutiger Mann, als Nonkonformist, der nicht zum korrupten Politklüngel gehört, sondern tapfer flüstertütet, was viele denken – und das, hirnbefreit und vollhybride, sogar Denken nennen. „Kantig“, als der wahre Stoiber, so hat Möllemann sich inszeniert, und Schlingensiefs hilfloses Geplärre, das hinterher nicht einmal das mehr sein wollte, gab Möllemann die Gelegenheit, den kalt gewordenen Kaffee nochmals aufzuwärmen.

Der Geist ist fern, auf einem andern Stern. Wie Möllemann verkörpert Schlingensief das Prinzip Megafon – und macht, mit um sich schlagendem Seht-meine-Wut!-Aktionismus, bloß Reklame für den Antisemiten. Der Erkenntniszugewinn ist dieser: Christoph Schlingensief ist weniger intelligent als Jürgen Möllemann. Auch deshalb ist seine Kunst so bestürzend harmlos.

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