piwik no script img

Arafat hat gleich mehrere mögliche Erben

Die meistgenannten Nachfolger des Palästinenserchefs sind nicht die populärsten Politiker. Aber sie haben Einfluss in Partei und Apparat

Der beliebteste Politiker ist nach wie vor Arafat, gefolgt von Scheich Yassin

JERUSALEM taz ■ Sollte Ariel Scharons größter Wunsch in Erfüllung gehen und Palästinenserführer Jassir Arafat den Folgen einer unheilbaren Krankheit oder eines vielleicht von den Leuten des frisch entlassenen Sicherheitschefs Jibril Rajoub verübten Attentates erliegen, wäre das palästinensische Volk mit einem politischen Vakuum konfrontiert. Formal würde Parlamentspräsident Achmad Korei alias Abu Ala, als Übergangschef eingesetzt werden, bis innerhalb von sechs Monaten Neuwahlen abgehalten werden müssten. Ob das Glücksgefühl des israelischen Premierministers so lange andauern würde, ist allerdings mehr als fraglich.

Über Jahre hinweg wurden vor allem fünf mögliche Nachfolger für Arafat gehandelt, darunter der im letzten Jahr überraschend verstorbene Faissal Husseini, Chef des Jerusalemer Orient-Hauses. Abu Ala und Abu Masen, der mit bürgerlichem Namen Machmud Abbas heißt – beide gehören zu den „Architekten“ der Osloer Prinzipienerklärung –, sowie die zwei Chefs des Präventiven Sicherheitsdienstes Jibril Rajoub und Mohammad Dahlan werden bis heute die besten Chancen zugesprochen.

Rajoub wurde mit Gewalt aus seinem Amt verwiesen, weil, so kommentierten palästinensische und israelische Analysten fast einstimmig, sein Chef vor dem immer mächtiger werdenden Ordnungshüter Angst bekam. Dahlan seinerseits ging zunächst für begrenzte Zeit freiwillig, um sich erklärtermaßen „Gedanken“ über seine politische Zukunft zu machen.

Allen vier Männern ist gemeinsam, dass sie zum einen der Fatah, der Partei Arafats, angehören und damit den in Oslo eingeleiteten Friedensprozess von Beginn an stützten. Zum Zweiten findet nicht ein einziger unter ihnen seinen Namen auf der Liste der zehn derzeit populärsten palästinensischen Führungspersonen wieder, sprich: Weniger als 1,5 Prozent der Bevölkerung würde – zumindest solange Arafat lebt – für sie stimmen.

Das wiederum ist Indiz dafür, wie sehr das Volk einem Dialog mit Israel misstraut. Denn die Kritiker der palästinensischen Führung stammen nicht aus einem eventuell liberaleren Lager, sondern sprechen sich, abgesehen von sehr wenigen Ausnahmen, für eine Verschärfung des Widerstands aus.

Der im vergangenen Monat von dem Jerusalemer Medien- und Kommunikationszentrum (JMCC) veröffentlichten Umfrage zufolge würde Jassir Arafat auch heute noch Wahlen gewinnen. Allerdings nicht mehr mit über 95 Prozent, wie Anfang 1996, als zum letzten Mal palästinensische Präsidentschaftswahlen abgehalten wurden, sondern nur noch mit gut 25 Prozent. An zweiter Stelle liegt der spirituelle Führer der islamisch-fundamentalistischen Widerstandsgruppe Hamas, Scheich Achmad Jassin, mit immerhin knapp neun Prozent. Erst an dritter Stelle ist erneut die Fatah vertreten: Marwan Bargouti, Chef der Tansimmilizen im Westjordanland, würde – fänden heute Wahlen statt – 6,3 Prozent der Stimmen bekommen. Dies würde ihm allerdings nicht viel nutzten, denn der 42-jährige „Führer der palästinensischen Straße“ muss sich unter dem Verdacht, Terroranschläge organisiert zu haben, in Kürze vor einem israelischen Gericht verantworten. Den zugegebenermaßen gewagten Prognosen der auflagenstärksten israelischen Tageszeitung Yediot Achronot zufolge wird er in den nächsten „200 Jahren“ nicht mehr auf freien Fuß kommen.

Achmad Jassins Popularität steigt und fällt mit der Zuspitzung oder Entspannung des militanten Konflikts und hat in diesen Tagen zweifellos einen Höhepunkt erreicht. Dennoch verfügt Jassin über keinerlei politische Macht, weder innerhalb der Autonomiebehörden noch bei den Sicherheitsorganisationen. Die Fundamentalisten sind vor allem im sozialen Bereich sehr aktiv. Politisch reicht ihr Einfluss kaum weiter, als Demonstrationen und den bewaffneten Widerstand zu organisieren.

Die Umfrage des Ost-Jerusalemer Medienzentrums beantwortet die Frage nach einem möglichen Nachfolger nur bedingt, denn ohne Zweifel wird auch die künftige Führung aus den Reihen der Fatah kommen, die mit derzeit 28,7 Prozent noch immer die stärkste Partei ist, allerdings dicht gefolgt von der Hamas mit 22,6 Prozent.

Hinter Barghouti steht Saeb Erekat, jahrelang Chefunterhändler bei den Friedensverhandlungen, auf der Liste der populärsten Politiker, wiederum gefolgt von dem parteilosen Arzt Haidar Abdel-Shafi, der allerdings mit seinen über 80 Jahren kaum noch zu Wahlen antreten wird. Eine Kandidatur gegen Arafat lehnte er bereits 1996 ab.

Theoretisch wäre der 47-jährige Saeb Erekat, der unter den bestehenden Umständen ganze drei Prozent der Wählerstimmen für sich verbuchen könnte, der aussichtsreichste Kandidat für die Nachfolge Arafats. Erekat stammt aus Jericho und ist heute Minister für kommunale Angelegenheiten. Er verfügt allerdings weder über die Verbindungen innerhalb der PLO, wie seine älteren Kollegen Abu Ala und Abu Masen, noch über Rückendeckung in der Bevölkerung.

So erfreut sich Jibril Rajoub seines Rufes als „König von Bethlehem“. In der gesamten Region bis Hebron fanden nach seiner Entlassung stürmische Sympatiekundgebungen für ihn statt. Auch Mohammad Dahlan, der aus einem Flüchtlingslager im südlichen Gaza-Streifen kommt, könnte bei einem eventuellen Wahlkampf vermutlich schneller Stimmen für sich sammeln, als es Erekat gelingen würde.

SUSANNE KNAUL

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen