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DEN HAAG: FORTUYNS POPULISTEN REGIEREN GEGEN IHRE ENTZAUBERUNG ANNeuwahlen sind eine seriöse Option

Nicht dass Hollands abgewählter Ministerpräsident Wim Kok zuletzt noch viele Sympathien genossen hätte. Ganz im Gegenteil – er hatte seine Mitte-links-Koalition in wesentlichen Fragen der Innen- und Sozialpolitik schleifen lassen und damit den Aufstieg des politischen Scharlatans Pim Fortuyn erst heraufbeschworen. Aber die Zusammensetzung der neuen Regierung, die Königin Beatrix gestern vereidigt hat, gibt Anlass zu wesentlich mehr Sorge als das letzte Kok-Kabinett.

Der ermordete Rechtspopulist Fortuyn hat Millionen Niederländer verzaubert, indem er offen aussprach, was viele dachten, sich aber nicht zu sagen trauten. Jetzt stellt sich die Frage, wie seine Parolen in Politik umgesetzt werden. Wie viel Zeit geben die Wähler der Mannschaft um den christdemokratischen Regierungschef Balkenende, die Kriminalität zu bekämpfen oder die Disziplinierung integrationsunwilliger Immigranten anzupacken? Über die Stabilität der konservativen Koalition, an der sich zumindest die Rechtsliberalen wegen der geplanten drastischen Eingriffe in die bürgerlichen Freiheiten nur zögerlich beteiligen wollten, lässt sich schon jetzt trefflich spekulieren. Zudem müssen sich die ihres Leitwolfs beraubten Minister der „Lijst Pim Fortuyn“ (LPF) in der Regierungsarbeit bewähren – dabei liefern sich die verschiedenen LPF-Fraktionen schon seit Beginn der Koalitionsverhandlungen Grabenkämpfe um die Nachfolge ihrer charismatischen Führerfigur.

Weitaus spannender noch ist die Frage, ob der Aufbruch zu neuen Ufern, den Premier Balkenende mit einer großen Zahl politisch unbeleckter Minister und Staatssekretäre startet, die Hoffnungen der Niederländer erfüllen wird. Die „Tintenknechte im Haag“ bekommen es nun mit Technokraten, Managern, Ärzten als Vorgesetzten zu tun. Sie mögen über Kompetenzen verfügen, die einem neuen Denken verpflichtet und den Anforderungen des 21. Jahrhunderts angemessen sind. Politische Ränkespiele indes, die zur Durchsetzung von Interessen vonnöten sind, gehen den Newcomern ab. Dass es einer solchen Truppe gelingt, Koks „Trümmerhaufen“ (Fortuyn) zügig zu beseitigen, ist zweifelhaft. Neuwahlen binnen Jahresfrist sind eine seriöse Option. HENK RAIJER

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