: Berge nach Bremen versetzt
Die Wanderausstellung „Pfad der Sinne“ informiert über Alpen und Mittelgebirge. Neben den üblichen Schautafeln und Kurzfilmen warten auf Besucher auch Attraktionen für Tastsinn und Nase.
Es erklingt die sanfte Melodie läutender Kuhglocken, die Hände greifen in Heu. Die Luft duftet nach Bergkräutern, und eine Sennerin schaukelt verzückt vor einem grandiosen Alpenpanorama. Zugegeben, Kuhglocken und Heu sind in handlichen Kisten verstaut und die Kräuterdüfte synthetisch. Das Panorama ist lediglich an die Wand projiziert, und die Sennerin ist in Wirklichkeit die Bremer Gesundheitssenatorin Karin Röpke.
Um Berge geht es trotzdem, auch wenn die Ausstellung „Pfad der Sinne“ nicht einmal auf dem Gipfel des Fernsehturms nistet, sondern im Foyer des Bremer World Trade Center in der Birkenstraße. Die UNO hat für 2002 das „Internationale Jahr der Berge“ ausgerufen, die Wanderschau zu deutschen Gebirgslandschaften gastiert in zehn deutschen Großstädten – unterstützt vom Bundesumweltministerium. Die Bergexperten bleiben noch bis zum Samstag in der Hansestadt.
Nun ist Bremen nicht die hügeligste aller Städte, aber: „Gerade dort wollen wir den Besuchern die Bedeutung der Berge nahe bringen“, erklärt Veranstalter Sven Bossmann. Dabei machen die alpinen Aufklärer Halt an ganz verschiedenen Orten. „Wir wollen ein breit gefächertes Publikum ansprechen“, so der Veranstalter. Nächster Halt ist der Leipziger Bahnhof, es folgen Jugendmessen, Marktplätze, Wissenschaftliche Kongresse.
Bunt gemischt sind auch die Wege, auf denen die Besucher die Berge kennen lernen können.
Wer richtig viel Wissen bunkern möchte, kann sich stundenlang mit den üblichen klein bedruckten Infotafeln und verschachtelten PC-Menus herumschlagen. Besucher mit weniger Zeit können sich aber auch von ihren Sinnen leiten lassen: An der ersten Station des Rundgangs warten mehrere Holzkisten. Wer sich traut, greift hinein und fühlt Federn, Kies, Weizen – oder eine Kuhglocke.
Am nächsten Halt steht ein bizarres Karussell, hinter dessen Vorhängen Blechdosen hängen. Die verbergen Tüchlein, die nach Heu riechen, nach Kiefern oder Eichenmoos. Dass die Düfte synthetisch hergestellt sind, rechtfertigt Bossmann verschmitzt: „So werden die Besucher ermuntert, den natürlichen Duft in den Bergen selbst zu suchen.“
Wenn aber alle Großstädter nun in die Alpen strömten, würden aus den 100 Millionen Touristen, die das Dach Europas jährlich besuchen, leicht noch mal 10 Millionen mehr. Die Menschenmassen und ihr Abfall machen jedoch aus dem Alpraum einen Alptraum. Denn Ski- und Wandertourismus setzen den Bergriesen unheimlich zu und die Klimaerwärmung lässt die Gletscher schmelzen. Konkrete Lösungen bietet der „Pfad der Sinne“ zwar nicht. „Aber immerhin haben einige bekennende Skirowdies Besserung gelobt“, freut sich Bossmann.
Zum Nachdenken anregen will die Schau also, und nicht nur über die Alpen: Auch um die Mittelgebirge Deutschlands geht es – nicht zu unrecht: Während die Alpen sich erst vor 65 Millionen Jahren auftürmten, buckeln Harz, Spessart & Co. schon seit 355 Millionen Jahren in Mitteleuropa umher.
Und auch von da gibt es Berichtenswertes: Im Thüringer Wald zum Beispiel müssen die Kuhglockenschmiede ihre Produkte mit Schlössern vor touristischen Langfingern schützen. Einen Film darüber zeigt das Baumstumpfkino am Ende des Rundgangs zusammen mit anderen Berichten über Menschen und Berge.
Die Ausstellung böte Bremen sogar die Chance, sich nach den Pisa-Schocks zu rehabilitieren: „Frankfurter Schüler waren nicht einmal in der Lage, die einfachsten Fragen unseres Bergequiz zu beantworten.“ Die urlaubenden Bremer SchülerInnen vertrat Senatorin Röpke würdig – sie brauchte nur zwei Joker, um den PC-Bergsteiger den Gipfel erklimmen zu lassen.
Sebastian Kretz
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