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Scharon sprengt Kinder und das Format

Michel Friedman zieht in seiner Talksendung vergeblich alle Register: Einer wie Scharon enttarnt sich nur selbst

„Das Gespräch wurde am Montag aufgezeichnet – das war vor dem israelischen Raketenangriff auf Gaza-Stadt“, sagt die ARD-Ansagerin ohne ihre ausdrucklose ARD-Ansagerinnenstimme auch nur einen Ton zu heben. Äußerungen in ihren Kontext einzuordnen, gilt als journalistisch sauber. Den Gedanken zu vertreiben, was noch in der Nacht der Aufzeichnung geschah, gelingt aber nicht: Als der israelische Premierminister Ariel Scharon gütig lächelnd dieses Gespräch gewährte, hatte er wohl schon befohlen, dass ein F-16-Bomber aufsteigen solle, um eine Hightech-Rakete in ein schlichtes Wohnhaus in Gaza-Stadt zu feuern. Dort starb der Hamas-Mörder Salah Schehadeh – und vierzehn unschuldige Zivilisten, darunter neun Kinder. Wie wird Scharon im Friedman-Gespräch formulieren? „Die (palästinensischen) Opfer kann man nicht mit unseren Opfern vergleichen, die absichtlich umgebracht wurden – die Ziele waren Kinder.“

An dieser Stelle – wo dem wissenden Zuschauer der Atem stockt – konnte Friedman selbstverständlich nicht nachfragen. Aber auch sonst bleibt Deutschlands umstrittenster Interviewer bei Scharon wirkungslos. Nicht dass Friedman sich nicht bemüht: Er zieht alle Register. Die typische Kombination aus scharfer Frage und verbindlichem Tätscheln des Oberarms des Gegenübers mag deutschen Politikern unbedachte Wahrheiten entlocken – Scharon ignoriert die Zudringlichkeit einfach. Vier Mal fragt Friedman „Was sind Ihre Kompromissvorschläge?“ Scharon verweigert die Antwort ein ums andere Mal: Kann es denn wahr sein? Hat der isrealische Premier wirklich nichts anzubieten außer F-16-Bombern? So scheint es.

Aggressive Attitüde

Gegen Michel Friedman wird oft eingewandt, seine Funktionen als Repräsentant des Zentralrats der Juden in Deutschland, sein politisches Engagement für die CDU und seine Partnerschaft mit einer enge T-Shirts tragenden Emotionstalkerin stünden unabhängiger, seriöser journalistischer Arbeit im Weg. Skeptisch betrachtet man zudem Friedmans aggressive Attitüde. Ähnlich geben sich allerdings auch die Starinterviewer der BBC und anderer angelsächsischer Nachrichtensender. Nur dem deutschen Publikum, das mit politsch ausgewogenen öffentlich-rechtlichen Sommerinterviews sozialisiert wurde, erscheint solch investigatives Gehabe als eitel.

Normalerweise ist Friedman in seinen Sendungen mindestens so präsent wie seine Gesprächspartner. Nicht so in Israel, im Büro des Premierministers, bei Ariel Scharon: Der dominiert mit großem Kopf und großen Worten Bild und Botschaft. Das ist gut so, gewinnen wir doch ein Bild von dem Mann, der von Kriegserlebnissen geprägt ist und alle Entscheidungen aus diesen Erfahrungen begründet: „Ich habe alle Dienstgrade durchlaufen, mein bester Freund ist gefallen, ich war zweimal verwundet, alle meine Söhne sind Reserveoffiziere.“ Von seinem dritten Sohn schweigt Scharon: Der tötete sich versehentlich mit elf Jahren beim Spielen mit einer Waffe.

Scharon, dessen Autobiografie „The Warrior“ (Der Krieger) heißt, kennt nur ein Thema: Er sucht Verständnis für seine Politik der Stärke, die viele für Politik der Brutalität halten. Etwas anderes interessiert ihn nicht. Fragt Friedman nach anderem, fällt Scharon vor Desinteresse fast aus der Konzentration. Quasi en passant erklärt er, seine Regierung wolle neue Beziehungen zu Haider-Österreich aufnehmen. Scharon interessiert sich nicht wirklich für antijüdische Ressentiments in Europa oder für die Erfolge rechtspopulistischer Parteien. Scharon, der Krieger, zielt immer nur auf einen Feind: „Antisemitismus ist wie Terrorismus.“

ROBIN ALEXANDER

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