: Die Hölle der Hunzingers
DAS SCHLAGLOCH von KERSTIN DECKER
Vor einem Monat war alles noch besser. Die Deutsche Bank traf sich in Berlin mit wichtigen Menschen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zur Jahrestagung der Herrhausen-Gesellschaft. Cem Özdemir war auch da, er musste aber früher gehen. Mitten aus der Podiumsdiskussion. Vielleicht hatte er einen Termin bei Moritz Hunzinger. Die Deutsche Bank war auch noch eine ganz andere Deutsche Bank vor einem Monat. Worldcom gab es noch und also rein theoretisch die Viertelmilliarde Euro, die Worldcom der Deutschen Bank schuldet. Und schließlich: Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann war noch kein Verfolgter. Nichts zu sehen von den beiden bösartigen Düsseldorfer Staatsanwälten, die mit den Abfindungssummen nicht einverstanden sind, die Ackermann bei der feindlichen Übernahme der Mannesmann AG durch Vodafone bewilligte. Nun gut, nicht er allein. Der Gewerkschaftschef Zwickel war auch für die 150 Millionen Mark. Also die Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammen. Und dieser – sagen wir ruhig: Volkswille – passt den Staatsanwälten nicht? Immerhin hat Zwickel sofort geistesgegenwärtig völlig neue Staatsanwälte gefordert. Umsonst.
150 Millionen. Aber Abfindungen sind kein Schmiergeld. Abfindungen sollen trösten. Meist über das, dass du nicht mehr bist, was du mal warst. Bei den beiden gerade verurteilten Thyssen-Managern dagegen, die in dieser schlimmen Waffengeschichte mit Saudi-Arabien drinhängen, ist das schon was anderes. Die sind jetzt auch nicht mehr, was sie mal waren, kriegen aber statt einer Abfindung Knast. Ein guter Bekannter sagte, von Waffenlobbyist Karlheinz Schreiber „Provisionen“ nehmen, sei aber auch wirklich noch dümmer, als sich von Moritz Hunzinger Anzüge kaufen lassen. Als ob der vor einer Woche gewusst hätte, wer Moritz Hunzinger ist. Kein Mensch weiß mehr, wer Moritz Hunzinger ist. Der Mann ist PR-Berater, und niemand kennt ihn. Mit etwas Shakespeare’schem Sinn für Tragik würden wir sie hier bemerken. Und wenn man da werten sollte: besser zum Herrenausstatter gehen, als Waffen nach Saudi-Arabien liefern.
Herrenausstatter – das hat so was Ziviles, beinahe Pazifistisches, ein Verteidigungsminister beim Herrenausstatter, das ist definitiv unkriegerisch. Ja, wenn Scharping die Waffen nach Saudi-Arabien geliefert hätte! Und Özdemir: Özdemir hat einen Kredit aufgenommen. Das heißt, er hat überhaupt nichts genommen, keine Anzüge, kein Geld, im Gegenteil, er musste welches zahlen. Mit Zinsen! Und Kurt Schelter erst. Kurt Schelter ist, nein, Kurt Schelter war bis eben Justizminister in Brandenburg und fiel einst auf mit dem Satz: „Was wirklich zählt, ist nicht käuflich.“ Nun stand das Gericht mit Pfändungsbeschlüssen vor Kurt Schelters Tür, und er musste auch noch zurücktreten.
Das ist so hart. Und warum muss man nun jeden Abend denken: Ob die Gräfin Pilati wohl bei Scharping bleiben wird, jetzt noch? Irgendwie hat Hunziger Scharping doch auch die Gräfin besorgt.
Das alles ist seit der Deutsche-Bank-Tagung passiert. Da wussten wir noch genau, wo die Korruption zu Hause ist: in der Dritten Welt. Auf der Tagung gab es nämlich auch einen Vortrag zur Korruption in der Dritten Welt. Er bewies in nicht einmal zehn Minuten, dass Korruption und Bestechung gar nicht nötig sind. Wenn, sagen wir, ein deutsches Unternehmen in der Dritten Welt etwas erreichen will, soll es künftig nicht mehr die örtlichen Machthaber mit Geld und Geschenken günstig stimmen. Denn keine Religion nirgends auf der Welt, erklärte der Referent, begrüße die Korruption. Eine positive Erregung ging durch die Reihen der Banker. Der Lichtstreif einer neuen Weltwirtschaftsordnung zeigte sich am Tagungshorizont. Nur ein paar ziemlich dunkelhäutige Teilnehmer machten das, was man bei Banken niemals tun soll: Sie überließen sich einem emotionalen Ausbruch. Offenbar wussten sie schon mehr als wir.
Es gibt so wenige, mit denen man vernünftig über diese Dinge reden kann. Schlimmer noch. Menschen, die uns eigentlich nahe stehen, nicken plötzlich mit einer unerschütterlichen Ruhe. Alles, was die Welt aus der Mitte hebt, scheint sie nur mittiger zu machen. Es ist, als fühlten sie sich besser mit jeder neuen schlechten Nachricht. Und dann sagen sie: Die Welt ist krank, wusstest du das nicht? – Nun gut, man kann sich verteidigen. Etwa so: Krankheit ist das Geheimnis unseres Erfolgs.
Ist die Conditio humana nicht ein anderer Name für Krankheit? Krankheit ist der Modus unserer Gesundheit. Private vices, public benefits, wusste schon Mandevilles Bienenfabel. Private Zwecke, öffentlicher Nutzen. Und immer so weiter. Allerdings gilt das nicht unbedingt vom katholischen Standpunkt. Die unbedingte Egoität als Stifterin des Allgemeinwohls ist dort nicht vorgesehen.
Man hat längst bemerkt, dass wir uns, rein katholisch betrachtet, mitten in der Hölle befinden. Das Lehramt kann das bloß nicht so deutlich sagen, schließlich existiert es unter uns. Genau wie der Papst. Ein Papst in der Hölle? Das geht nicht. Die kongeniale Jetztzeit- als Höllentheorie stammt von Luhmann. Peter Sloterdijk nennt sie das „letzte Neutralisierungsprodukt der Satanologie“. Sie legt dar, dass die Hölle der angemessene Aufenthaltsort moderner Individuen ist. Wir sind alle Funktionsglieder selbstbezüglicher Kreise. Es gibt Hunzigerkreise, Medienkreise, Managerkreise und immer so weiter. Aber es sind noch Menschen unter uns, die Luhmann nicht kennen. Der portugiesische Premier zum Beispiel. Er macht sich Sorgen um die EU: „Stellen Sie sich ein großes Flugzeug vor; Sie gehen ins Cockpit, und niemand sitzt an den Instrumenten.“ – Aber es kann überhaupt keiner im Cockpit sitzen, rein systemtheoretisch gesehen. Die USA!, möchte man jetzt rufen, die USA sind unser aller Cockpit. Doch vielleicht sind auch die USA nur eine metaphysische Lenkungstäuschung. Immerhin hat der Präsident der USA schon dreimal behaupten müssen: „Unsere Wirtschaft ist gesund!“ Und jedesmal brach die Börse ein.
Sprechen wir nun über die Auswege aus dieser Situation. Die erste Möglichkeit schlägt die Kienbaum-Unternehmensberatung vor: Unsere Politiker sind unterbezahlt. Wir müssen die Politikergehälter anheben, dann hätte Scharping sich seine Hosen selber kaufen können.
Es gibt noch eine zweite Möglichkeit. Wir könnten die Hölle verlassen und uns einen neuen Lenker mitsamt einer neuen Mitte suchen. Wir könnten einsehen, dass unser Autonomieprojekt gescheitert ist. Der Maharishi Mahesh Yogi war gerade in Berlin und schlug vor, den „Stress im Weltbewusstsein“ und den Terrorismus durch vedisches Fliegen zu besiegen.
Oder wir bitten um eine Audienz beim Papst. Vielleicht würde der Papst die Weltherrschaft übernehmen. Aber der Papst geht doch nicht. Hunzinger! Die Kardinalsmütze des Kardinal Lehmann thront in Hunzingers Büro direkt über Hunzingers Schreibtischstuhl. Das hat die Zeit herausgefunden. Und unter der Kardinalsmütze ist – die Papstmütze. Sollte Hunzinger … jetzt auch den Papst?
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