: Jangtse-Flut schafft neue Helden
In der chinesischen Provinz Hunan wird wegen des Hochwassers des Dongting-Sees, der dem Jangtse als Überlaufbecken dient, der Notstand ausgerufen. Die Mobilisierung von Partei und Armee soll zehn Millionen Anwohner vor den Fluten schützen
aus Peking GEORG BLUME
Bis Ende August, so sagen die Anrainer, gehen die Fluten des Jangtse zurück. Doch bis dahin kann noch viel passieren. Keine Semper-Oper, aber Millionen Bauernhütten könnten in den Wassermengen von Chinas größtem Strom versinken. Eine Provinzhauptstadt wie Dresden wäre betroffen, doch hieße sie Wuhan und hätte mit vier Millionen Menschen die zehnfache Einwohnerzahl Dresdens. Die Zahl der Flutopfer aber könnte dann, wie zuletzt 1998, vierstellige Höhen erreichen.
Das sind die derzeit immer realistischer scheinenden Ausmaße einer drohenden Flutkatastrophe in Südchinas Provinz Hunan, wo die Behörden gestern den Notzustand ausriefen. Noch werden dort „erst“ 200 Flutopfer gezählt. Doch überschritt der Wasserstand des 2.700 Quadratkilometer großen Dongting-Sees, der als „Überlaufbecken“ des Jangtse dient, schon vor Tagen die Hochwassermarke von 32 Metern und erreichte gestern beunruhigende 34 Meter. Bei der „Jahrhundertkatastrophe“ 1998, in der 4.000 Chinesen starben, stieg dieser See bis auf 35,9 Meter und überflutete die Wohngebiete von Millionen Menschen.
Das scheint nun auch jetzt nicht mehr ausgeschlosssen. Wobei die akute Gefahr von dem aus Süd-Hunan in den Jangtse fließenden Xiang-Fluß ausgeht, der aufgrund von Taifunregen in seinen Ursprungsgebieten erstmals in seiner Geschichte einen Pegel von vier Metern über dem Normalstand erreicht hat.
Noch hoffen die Behörden, dass die seit 1998 verstärkten Dämme halten. Doch bereiten sich die Medien schon auf das Schlimmste vor: „Hunans Soldaten und Bürger stellen sich dem Kampf gegen das Hochwasser des Dongting-Sees“, titelte gestern Pekings Volkszeitung, nachdem es die Tage zuvor schien, als wolle das offizielle Parteiblatt die Vorbereitungen auf den 16. KP-Parteitag nicht mit Krisenmeldungen stören. Chinas unabhängigere Tagespresse aber berichtet schon seit Wochen über die Hochwasser im ganzen Land, deren Opferzahl sich bereits auf über tausend Menschen beläuft. Dabei zählten bisher nicht die Überflutungsgebiete am Jangtse, sondern entlegene Bergregionen ohne traditionelle Flutbekämpfung die meisten Opfer.
Bisher schien es den Chinesen ein kleiner Trost zu sein, dass die Meldungen von Überschwemmungskatastrophen dieses Jahr nicht nur aus China und den üblichen Krisenregionen in Indochina und Indien kamen, sondern auch aus Europa. „Das große Wasser hat kein Mitleid“, überschrieb die Pekinger Jugendzeitung noch gestern ausführliche Berichte von Fluten in aller Welt.
Bald könnte sich zeigen, dass China – bei allem gemeinsamen Leid – immer außergewöhnlich auf die Fluten reagiert: Schon stehen am Dongting-See „180.000 Kader und Freiwillige, 80.000 Milizen und 30.000 Soldaten“, so die Volkszeitung, zum Einsatz bereit. Die Soldaten müssten die bedrohten Gebiete „als ihr Mutterland“ und die Betroffenen als „Angehörige der eigenen Familie“ ansehen, erklärte die Armee in Hunan. Flutretter sind im kommunistischen China eben die Helden schlechthin.
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