: Die große Landschaftsverweigerung
Ornithologische Notizen: Drei Ausstellungen in Berlin präsentieren derzeit Künstler, die sich mit dem misstrauischen Verhältnis des Menschen zur Restnatur auseinander gesetzt haben - nicht als verdrängte Idylle, sondern als Teil moderner Stadtkultur
Von KATRIN BETTINA MÜLLER
Vor fünf Jahren las Tue Greenfort in einem wissenschaftlichen Artikel einer dänischen Zeitung, dass heute in den Städten mehr Füchse pro Quadratkilometer leben als auf dem Land. Seitdem ist er den Tieren im urbanen Raum auf der Spur, fasziniert von ihrer großen Anpassungsfähigkeit. Aufgewachsen sei er mit Naturfilmen, so der 1973 geborene Däne, die meistens Schuldgefühle hinterließen: über die Zerstörung der Umwelt durch den Menschen. Über dieser Katastrophenstimmung gerät das Naheliegende zu Unrecht völlig aus dem Blick, findet er. Er will zu einem besseren Verhältnis mit der Natur zu finden, indem er sie als Teil von Kultur beobachtet. „Wir sind ihnen so nah und verstehen sie doch nicht“, sagt er über die Vögel am Rosa-Luxemburg-Platz. Dort stellt er bei Johann König aus und hat ein Fernglas und eine versteckte Kamera zwecks Vogelbeobachtung aufgebaut.
Viel zu sehen ist in Greenforts Arbeiten nicht - die Begegnung mit den unbekannten Bewohnern unserer Städte finden vor allem im Kopf statt. Letztes Jahr lenkte er auf der Biennale in Istanbul eine Ameisenstraße durch einen Ausstellungsraum, indem er mit Futterstellen ihr Informationssystem manipulierte. Zu einem ähnlichen Trick griff vor zwanzig Jahren Katharina Meldner auf einem Parkplatz am Berliner Funkturm. Sechs Jahre lang verfolgte sie dort mit roten und schwarzen Stiften die Hin- und Rückwege der Ameisen über ihr Zeichenpapier. Die Ameisen führten ihr die Hand. Die dichten Gespinste der Wege bildeten jeden Tag eine neue und lebendige Topographie aus.
Meldners „Wege der Ameisen“ sind Teil der Ausstellung „Nach der Natur“, die von der Berlinischen Galerie im Kunstforum gezeigt wird. „Nach der Natur“ ist doppeldeutig, denn der Titel kann sowohl meinen, sich ihren Strukturen zu überlassen wie Katharina Meldner, als auch, nach ihrem Ende nur noch ihren Verlust beschreiben zu können. Vor allem ihre Vereinnahmung als Begriff für Etwas, das unberührt und unschuldig außerhalb der Geschichte bleiben soll, bilden denn auch oft die Voraussetzung der künstlerischen Haltungen.
Kurt Buchwald zum Beispiel straft den hungrigen Blick des Touristen, der sich am blauen Meer und grünen Küsten voll saugen will, mit Landschaftsverweigerung. Mitten in seinen Fotografien leuchtet ein rotes Schild und verstellt den Raum. Nur an den Rändern lässt sich noch weniges sehen - und das ist auch schon wieder eine Metapher für die Verdrängung der Natur.
Durch die Auflösung einer naturwissenschaftlichen Bibliothek kam Nanne Meyer an alte Karteikarten. In ihren Zeichnungen kommentiert sie ornithologischen Titel mit einer Phantasie, die eindeutig den Problemen des Menschseins entspringt. Die Karte „Massensterben von Grünfinken 1939“ ist mit grünen Kreuzen zugemalt, Vogelhäuschen stapeln sich wie Reihenbauten unter dem Stichwort “Siedlungsdichte“ und die Karte über „Das Erscheinen seltener Gänse“ ist einfach leer. Die Erwartung, über die Natur vom Eigenen Abstand nehmen zu können, und die Enttäuschung, sie dann doch von den Reflexen der Geschichte besetzt zu finden, zeigt sich in den „Ornithologischen Notizen“.
Lange war das Motiv der Landschaft dem Verdacht ausgesetzt, Idylle lügen zu wollen. In der Ausstellung „Nach der Natur“ taucht das Sujet nur vermittelt in Zeichnungen (Frank Michael Zeidler) und Videos (Heike Baranowsky) auf, die vor allem auch die Bedingungen der Bildwerdung thematisieren. Von dieser Pflicht medienkritischen Bewusstseins losgerissen haben sich dagegen Künstler der Ausstellung „Ausflug (Exkursion)“, die der Kurator Rüdiger Lange in der Heeresbäckerei zeigt. Sein Konzept setzt nicht mehr auf die Reaktionen von Verlust und Schock, weil die zuletzt zur Routine wurden. Gerade dort, wo die Darstellung sachlich ansetzt, ist die Irritation groß. Nikolas Theilgaard hat Stein, Wasser und Mauern an Orten fotografiert, die vielmehr dem Eindruck des Leergeräumten als der Fülle entsprechen. Unheimlich ordentlich wirken auch die grünen Wiesen und Waldkanten, die Rudolf Stehr gemalt hat. Bei Maja Rohwetter schließlich quillt Restnatur aus dem Kübel in der Fußgängerzone, ein Produkt unter vielen in der künstlichen Angebotspalette. Plötzlich stellt man fest, dass die tradierten Darstellungsmittel sehr wohl taugen, die Veränderung der Landschaft und unser misstrauisches Verhältnis zu ihr zu beschreiben.
Tue Greenfort bei Johann König, Weydingerstr. 10, Mitte, bis 18. September. Nach der Natur, Kunstforum Budapester Straße 35, Charlottenburg, bis 27. Oktober. Ausflug, Heeresbäckerei, Kreuzberg, bis 14. September.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen