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Viva Minus

Anfang des Jahres startete die Viva Media AG vollmundig Viva Plus. Doch das „CNN des Musik-TV“ ist schon am Ende und wird zur Clip-Abspul-Station

Was bleibt vom so gerne beschworenen „Viva-Spirit“? Vielleicht Disko-Brumme Daisy Dee?

aus Köln RALF NIEMCZYK

Die Szene erinnerte ein wenig an die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR-Gründung. Da sitzen am Freitagmittag Vorstand und Aufsichtsrat der Viva Media AG mit steinernen Minen auf einem Podium im Kölner Capitol-Theater. Hier, wo das Jahr hindurch Stefan Raab den Komiker in „TV Total“ gibt, verkündet nun ein neunköpfiges Politbüro die großen Leistungen des vergangenen Bilanzjahres. Die ordentliche Hauptversammlung als Parteitag. Finanzvorstand Christian Gisy sieht ein „kerngesundes Kerngeschäft“. Vorstandschef Dieter Gorny erfindet die „Kernthese der Solidität“. Routiniert hat die PR-Abteilung des Konzerns die anstehende Expansion nach Asien durchsickern lassen. Demnächst öffnet Viva ein Programmfenster in Rotchina. Die Front der Unangreifbarkeit stand bombenfest.

Selbst die stets skeptischen Aktionärsschützer im Publikum ahnten offenbar nicht, was das Viva-„board“ Tags zuvor beschlossen hatte: Der erst zum Jahresbeginn mit viel Getöse gestartete Schwestersender Viva Plus, der eigentlich mit total spontanen Korrespondenten aus den Metropolen der Welt zum „CNN des Musikfernsehens“ avancieren wollte, wird abgewickelt! Während die Bosse mit viel Liebe zum Detail sich der Anfragen aus dem Auditorium („Macht es heute noch Sinn, eine Radiofrequenz auf der Mittelwelle zu eröffnen?“) widmeten, lagen in der Senderzentrale im Mediapark bereits die Kündigungen in der Schublade. Gegen 17 Uhr erfuhren die ersten Mitarbeiter vom vorläufigen Ende ihrer Medienkarriere. Ami-Methoden im sozialdemokratischen NRW.

Doch Köln wäre nicht Köln, hätte der Thekentratsch in den Clubs und Kneipen die mühsam aufgestellte „Läuft-alles-super“-Fassade nicht längst schon unterspült. Und so feuerte der sonst eher betuliche Kölner Stadtanzeiger in seiner Samstagsausgabe eine erste Breitseite gen Viva: „70 Arbeitsplätze bedroht – Studio- und Drehtermine abgesagt – Gorny: Alles Quatsch“ hieß es im Wirtschaftsteil. Eine Kommunikationskatastrophe allererster Kajüte für den sonst so wortreichen Vorstandschef. Ganz nebenbei stellt sich die Frage, welchen Respekt die Macher gegenüber ihren (Klein-)Aktionären haben. Transparenz? Eher nö. Der Geldgeber von nebenan als Stimmvieh. Alles gemäß Aktiengesetz.

Längst nicht mehr Herr der Situation, musste Viva über das Wochenende dann doch die Information fließen lassen. Scheibchenweise natürlich. Die vorläufigen Fakten: Viva Plus wird in einen Video-Abspielkanal – eine Mixtur aus MTV 2 und dem holländischen Clipkanal The Box – umgewandelt. Die bisherige Viva-Plus-Redaktion wird für dieses Konzept natürlich nicht mehr gebraucht. Im ganzen Hause hagelte es Kündigungen, die auch den ach so erfolgreichen Kernsender betreffen. So wird etwa die zentrale Textredaktion eingedampft und auch im Werbezeitenverkauf durften sich einige Klinkenputzer ihre pink slips abholen. Viva Plus Programmdirektor Dominik Kaiser, der seinen Züricher Hauptsitz instinktiv nie aufgegeben hatte, kann den Pendel-Jetset zwischen „Street Parade“ und Sendestudio einstellen. Für Online-Chef Mark Adam ist ebenfalls Schicht. Eine bestätigte Gesamtzahl der Entlassungen existiert noch nicht. Von den 391 „vollzeitäquivalenten“ Viva-Mitarbeitern werden aber mindestens 70 demnächst zum Arbeitsamt gehen. Starke Frau der Zukunft wird die bisherige Geschäftsführerin der Viva Fernsehen GmbH Martina Bruder, die als solide Kontrolleurin der Zahlen gilt und die mit innovativer Popkultur etwa so viel zu tun hat wie Pur mit Punkrock.

Noch ist nicht abzusehen, welchen Imageschaden diese Vollbremsung der Viva-Oberen im ohnehin waidwunden Zuschauer- und Werbemarkt auslösen wird. Die ganze Freitagnacht über bildeten sich in den Kölner Szenebars links und rechts der zentralen Ringstraße schier fassungslose Diskussionszirkel. Wer, verdammt noch mal, bleibt da noch übrig, um den so gerne beschworenen „Viva-Spirit“ mit Leben zu erfüllen? Charlotte Roche, die demnächst Mutter wird? Oder vielleicht doch Disko-Brumme Daisy Dee? Wir werden es erfahren. Demnächst.

Weit reichende Veränderungen wird es jedenfalls im Konzerngeflecht der Viva Media AG geben (Jahresumsatz 2001: 60 Millionen Euro). Unter ausdrücklichem Protest der DWS-Aktionärsschützer bekommt der Aufsichtsrat nach Antrag der Hamburger Warner Music Group drei neue Mitglieder. Und die stammen – Nachtigall, ick hör dir trapsen – ausnahmslos aus dem Stall von AOL/Time Warner. Da Warner neben seinem 30,6-Prozent-Anteil bei der AG auch rund 49 Prozent an der Viva Plus GmbH hält, muss man kein Börsenguru sein, um die schleichende Dominanzstrategie der Warner-Boys zu prognostizieren. London und New York reiten ein. Zumal der angeschossene Miteignerkoloss Vivendi/Universal sich seine 15,3 Prozent bei der nächsten Gelegenheit versilbern lassen wird. Medienmonopoly in Zeiten der Krise.

Einzig Jörg Grabosch, als „Vorstand content“ der einzige wirkliche Fernsehmann an Bord, kann zu all dem milde schweigen. Seine einstmals eigenständige Brainpool AG („TV Total“, „Ladykracher“, „Die Wochenshow“), hat mit den aktuellen Turbulenzen vorerst wenig zu schaffen. Doch auch hier ist nicht alles im Lack. Betrug der Anteil am Viva-Konzernumsatz einstmals 40 Prozent, dürften es heute eher schwindende 35 sein. Und Brainpool hat einige Leichen im Keller, wie etwa den Computerspiele-Hersteller Westka, der zum 30. Juni „voll“ abgeschrieben wurde. Wie einst die DDR versuchte die Viva Media AG an diesem Wochenende, die schnöde Wirklichkeit zu kaschieren. Dann entstand ein Loch im Schutzwall der Informationspolitik. Jetzt sind Steherqualitäten gefragt.

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