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Auf dem Abstellgleis

Der Gipfel in Johannesburg hat gezeigt: Nachhaltige Entwicklung hat zurzeitkeine mächtigen Fürsprecher. Auch Europa ist keine treibende Kraft mehr

Mit der anstehenden Osterweiterung bekommen dieEuropäer ihr eigenes Nord-Süd-Problem

Eine Karikatur machte auf dem Weltgipfel zur nachhaltigen Entwicklung in Johannesburg die Runde: Neben dem breit grinsenden Verhandlungsführer der USA steht der Vorsitzende der Klimaverhandlungen und sagt: „Unterstützt jemand den Vorschlag der Vereinigten Staaten, dass ,wir endlich aufhören, solche Weicheier zu sein, diesen gottverdammten Planeten leer saugen und dann Richtung Venus oder so verduften‘?“. Der Gesandte von Australien stimmt zu. Der Franzose schlägt die Hände vors Gesicht.

Das Faszinierende an der Zeichnung war ihre bittere Wahrheit. Die USA haben es zusammen mit den Opec-Staaten geschafft, ihre Agenda von ungebremstem Freihandel vor der Bedrohung durch ein paar grüne Feigenblätter zu bewahren. Doch die US-Delegation war unbeeindruckt. Kein Land der Welt habe für nachhaltige Entwicklung so viel getan wie die USA, verkündete Delegationschefin Paula Dobriansky. Da war die Grenze von üblicher Propaganda zur Frechheit überschritten.

Mit den USA ist zurzeit also nicht zu rechnen, wenn es um internationalen Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung geht. Die Frage des UN-Gesandten Jan Pronk von der Vorbereitungskonferenz in Bali: „Was machen wir mit den USA?“, die hier in Johannesburg als Running Gag die T-Shirts zierte, ist leicht zu beantworten: Isolieren, an den Pranger stellen und als Partner bis auf weiteres vergessen.

Aber wer soll die nachhaltige Entwicklung global vorantreiben? Die Entwicklungsländer haben wieder einmal bewiesen, dass sie sich in der Gruppe der G 77 von den Interessen der Opec instrumentalisieren lassen. Nicht einmal bei der Frage der erneuerbaren Energien, die sie selbst am stärksten betrifft, haben sie sich von der Diktatur der Petrodollars befreit. Dabei leiden gerade die ärmsten Länder etwa in Afrika doppelt unter der Abhängigkeit vom Öl: Die Einfuhr des Treibstoffs verschlingt ihre Devisenreserven. Die Folgen des Klimawandels treffen sie dagegen mit voller Wucht.

Bleibt also die Europäische Union. Die Europäer zeigen sich gern weltweit als die Musterknaben bei Umweltschutz und Entwicklung. Zwischen den Globalisierungsfetischisten in den USA und den Ländern des Südens, die nach dem Wohlstandsmodell des amerikanischen Traums hungern, haben sie sich als Modernisierer mit ökologischem und sozialem Gewissen positioniert. Doch Johannesburg zeigt eine traurige Wahrheit: Fortschritte gibt es allenfalls durch einzelne Staaten wie Deutschland oder Großbritannien. Die Europäer als Gesamtheit nehmen ihre Rolle kaum noch wahr. Die Lokomotive für Umwelt und Entwicklung rollt aufs Abstellgleis.

Das beginnt damit, dass die Europäer keineswegs mit einer weißen Weste zu Verhandlungen wie dem Weltgipfel kommen. Der Ausstoß von Treibhausgasen in der gesamten EU nimmt zu statt ab; von Konsum und Produktion, die sich mit Umwelt- und Entwicklungszielen vereinbaren lassen, ist auch Europa Lichtjahre entfernt; die Politik der Agrarsubventionen und Zölle in der EU hält die armen Länder weiterhin in Armut. Bei den entscheidenden Verhandlungen in Johannesburg hat die EU versagt: Erst machte, peinlich, peinlich, ausgerechnet ein Schwellenland wir Brasilien einen weitaus ambitionierteren Vorstoß beim Thema Energie. Dann zeigte die dänische EU-Präsidentschaft beim nächtlichen Tauziehen um Strom aus Wind, Wasser und Sonne so wenig Engagement, dass Europa zum Schluss mit leeren Händen dastand. Die meisten anderen Ziele, die als Erfolge verkauft werden, waren unstrittig (Trinkwasser), haben Schlupflöcher (Chemie, Fischerei) oder waren politisch von ihren Gegnern nur schwer öffentlich zu torpedieren (Abwasser). Und schließlich war die EU in der entscheidenden Nachtsitzung sogar bereit, den höchst umstrittenen Text zu akzeptieren, der die internationalen Umweltabkommen möglicherweise unter Kuratel der WTO gestellt hätte. Nur weil Norwegen, die Schweiz, Äthiopien und Tuvalu die Kastanien aus dem Feuer holten, konnte es die EU hinterher als Erfolg verbuchen, dass dieser Angriff abgewehrt wurde.

Das kommt nicht von ungefähr. Denn in Europa hat sich der politische Wind gedreht und auch die Umwelt- und Entwicklungspolitik erreicht. Nicht ganz zufällig stritten etwa Deutsche, Briten und Belgier oft vereinzelt gegen den Rest ihrer europäischen Kollegen. Seit dem politischen Rechtsruck in Europa sind die Regierungen in Dänemark, den Niederlanden, Frankreich, Italien, Österreich und Spanien in konservative Hände übergegangen. Wie sich das auf die Debatten in Johannesburg auswirkt, zeigte die Rede des dänischen Premiers Anders Fogh Rasmussen vor dem Plenum: Für ihn steht fest, dass erst Wohlstand (mit den unvermeidlichen Problemen) geschaffen werden muss, ehe Umweltschutz einsetzen kann. Dass diese Ansicht das Gegenteil von nachhaltiger Entwicklung ist, stört ihn nicht.

Für die meisten EU-Regierungen ist nachhaltige Entwicklung deshalb etwas für die Sonntagsrede. Dazu kommt, dass die EU-Kommission mit ihrem Handelskommissar Pascal Lamy bei allen wichtigen Abkommen mit am Verhandlungstisch sitzt – und dort mit allen Tricks arbeitet. Auch in Johannesburg dominierten die Marktgläubigen der Generaldirektion Handel die europäische Linie vor und hinter den Kulissen. In den nächsten Jahren wird die EU außerdem den Blick nicht nach Süden, sondern nach Osten richten. Mit der anstehenden Osterweiterung bekommen die Europäer ihr eigenes Nord-Süd-Problem vor der Haustür, das finanzielle und politische Ressourcen binden wird. Als schlechtes Beispiel könnte die deutsche Wiedervereinigung dienen – direkt nach den Versprechen von Rio lenkten die Probleme im Osten alle Aufmerksamkeit auf sich. Natürlich könnte die EU den Umbau der Gesellschaften in Osteuropa als große Chance für nachhaltige Entwicklung begreifen. Doch die Union nimmt ja noch nicht einmal ihren eigenen Fahrplan zur Nachhaltigkeit ernst, den sie vor einem Jahr beim Gipfel in Göteborg beschlossen hat. Was in Europa fehlt, ist eine langfristige Strategie, wie man mit Nachhaltigkeit gemeinsame Außenpolitik machen will: Wer sind die Partner, wer die Gegner? Wie löst man einzelne Länder aus den G 77? Wie man strategische Allianzen schmiedet, kann sich die Alte Welt sehr schön von den USA abgucken.

Die USA kann manals Partnerfür nachhaltige Entwicklung bis auf weiteres vergessen

Woher also soll der Druck kommen, ohne den sich auch die Politiker in Brüssel, Kopenhagen, Den Haag und Paris nicht bewegen? In Johannesburg sind neue Koalitionen aufgetreten, um für mehr Tempo zu sorgen: So forderten etwa Greenpeace und eine Gruppe von Konzernen ernsthafte Anstrengungen beim Klimaschutz, die Weltbank plädierte mit NGOs für ein Umdenken bei der Armutsbekämpfung. Auch die Demonstrationen der Globalisierungskritiker in Europa haben durchaus ihre Spuren hinterlassen. Doch wirkliche Kursänderungen erreicht man nur durch Beharrlichkeit auf allen Ebenen. Oder indem man auf die nächste Flut wartet.

BERNHARD PÖTTER

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