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„Es ist ein Überangebot“

Die Handball-Bundesliga startet in die neue Saison. Schon im Vorfeld hatten einige Vereine wieder wirtschaftliche Probleme. Das muss nicht sein, findet Magdeburgs Manager Bernd-Uwe Hildebrandt

„Sport ist wie Theater. Die Leute wollen unterhalten werden und Typen sehen.“

Interview FRANK KETTERER

taz: Herr Hildebrandt, die Handball-Bundesliga ist noch nicht richtig in die Saison gestartet und schon türmen sich wieder die Chaosmeldungen: Der SG Solingen werden wegen Ungereimtheiten bei den Lizenzunterlagen schon vor der Runde vier Punkte abgezogen, und selbst der SG Wallau-Massenheim fehlen plötzlich rund 500.000 Euro in der Kasse. Warum bringen es die Handballer nicht fertig, einfach mal eine ganz normale Saison ohne Skandale und wirtschaftliche Turbulenzen zu spielen?

Bernd-Uwe Hildebrandt: Die Handball-Bundesligavereine haben sich mittlerweile zu Wirtschaftsunternehmen entwickelt – und als solche bewegen auch sie sich nicht im luftleeren Raum, sondern sind von konjunkturellen Problemen genauso betroffen wie alle anderen Unternehmen und Betriebe in der Bundesrepublik. Auch da gibt es Finanznöte und zig Insolvenzen, sodass es in der Handball-Bundesliga unter diesem Aspekt ein völlig normaler Prozess ist, dass Vereine ins Straucheln geraten, weil ihnen die finanzielle Grundlage fehlt.

Muss man aber nicht auch feststellen, dass mancher Bundesligaverein nach wie vor nicht eben seriös plant und wirtschaftet?

Auch das ist wie überall in der Wirtschaft: Es gibt Unternehmer, die seriös wirtschaften, und es gibt solche, die es leichtfertig tun. Bei uns kommt hinzu, dass so mancher Verein in der Ersten oder Zweiten Liga an den Start geht, weil er sich sportlich dafür qualifiziert hat. Das erzeugt auch Druck, weil ein Verein, der sagen würde, wir sind zwar qualifiziert, aber wir können das finanziell nicht bewerkstelligen und verzichten lieber, schnell erledigt wäre. Also macht der Verein lieber Harakiri und kauft, nur um sportlich mithalten zu können, den ein oder anderen Top-Spieler, den er sich eigentlich gar nicht leisten kann – und schon steckt er in den Miesen.

Wie viele Erstligavereine wirtschaften seriös?

Der größte Teil bemüht sich, nur das auszugeben, was auf dem Tablett liegt.

Zahlen bitte!

Ich gehe mal von 90 Prozent aus.

Die HSG Nordhorn, immerhin deutscher Vizemeister, hat in der letzten Saison wohl nicht dazugehört.

Richtig. Deshalb sage ich ja auch 90 und nicht 100 Prozent. Was Nordhorn gemacht hat, war nicht seriös. Da haben einzelne Personen, in dem Fall Manager Bernd Rigterink, mit aller Macht sportlichen Erfolg gewollt, obwohl die Finanzierungsgrundlage für diesen nie gegeben war.

Gibt es so etwas wie einen Kardinalfehler, den die Vereine auf ihrem Weg in den Ruin immer wieder begehen?

Ein Kardinalfehler war sicherlich, dass wir, die Handball-Bundesliga-Vereinigung der Männer, im ein oder anderen Fall nicht ganz klar gesagt haben: Leute, jetzt ist Schluss, jetzt kriegt ihr keine Lizenz mehr. Da war man schlichtweg zu inkonsequent.

Das klingt nicht gerade so, als seien Sie über das bestehende Lizenzierungsverfahren sonderlich glücklich.

Unser Lizenzierungsverfahren ist, so wie es derzeit angewendet wird, noch lange nicht ausgereift. In vielen Punkten ist es völlig überzogen, auf der anderen Seite kann es nicht sein, dass Vereine wie zum Beispiel die SG Solingen oder in der letzten Saison der VfL Bad Schwartau [wurde ebenfalls mit einem Vier-Punkte-Abzug bestraft; Anm. d. Red.] ihre Lizenz auf Anhieb erhalten haben, während andere Vereine, die heute keine Probleme haben, Auflagen aufgebrummt bekamen. Das war zum Teil nicht nachvollziehbar. Da muss das System der Sicherheit noch größer werden.

Wie kann das erreicht werden?

Wir müssen versuchen, eine höhere Transparenz über die Verträge zu erhalten, die die Vereine abschließen. Deswegen hat die Bundesliga ja auch eigens eine Kommission gebildet, in der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sitzen, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, ein System zu entwickeln, mit dem die Unterlagen der Vereine besser durchleuchtet werden können.

Damit so etwas wie mit der SG Solingen nicht noch einmal passiert.

Die Unterlagen der SG Solingen wurden von einem Wirtschaftsprüfer durchgesehen und für in Ordnung befunden. Aus meiner Sicht ist das zwar mit einiger Gefälligkeit und großer Nachsicht geschehen, aber das ändert nichts daran, dass wir die aufgrund des Urteils dieses Wirtschaftsprüfers bereits vergebene Lizenz aus rechtlichen Gründen im Nachhinein nicht wieder zurückziehen konnten. Deshalb blieb am Ende nur die Möglichkeit, eine Strafe auszusprechen. Finanziell ging nichts – weil man einem nackten Mann nicht in die Tasche greifen kann. Da blieb nur noch der Punktabzug.

Vielleicht würden sich Probleme wie dieses bei einer Reduzierung der Liga von ganz alleine lösen.

Meine Rede. Es sind zu viele Unternehmen, sprich Erst- und Zweitliga-Teams, auf dem Markt, die das Produkt Handball umzusetzen versuchen. 54 Mannschaften im Profi- und Halbprofibereich, das ist einfach ein Überangebot.

Was wäre wünschenswert?

Wenn in der ersten Liga 14 Mannschaften im Play-off-Modus spielen würden, hätten wir die gleiche Anzahl an Spielen und das Produkt Bundesliga wäre viel interessanter. Außerdem wäre es völlig ausreichend, wenn man eine eingleisige Zweite Liga mit 18 oder 20 Mannschaften hätte. So wie es im Moment ist, ist es auf Dauer nicht finanzierbar.

Der ebenfalls permanent klamme VfL Bad Schwartau versucht der Misere anders zu entkommen: Er firmiert nun als Hamburger SV und spielt künftig auch in Hamburg. Ist das die Lösung: Dass der Handball vom Dorf in die Großstadt zieht?

Ich glaube schon, dass Handball nur eine Chance hat, bestehen zu können, wenn er sich einem breiten Publikum anbietet und diesem die Möglichkeit gegeben wird, das Fluidum Handball zu erleben. Dazu gehört auch, dass man sich von den regionalen Bereichen immer mehr in die Metropolen bewegt, schon weil dort die großen Hallen stehen.

Andererseits scheint es in Hamburg auch schon wieder kühn, von Anfang an mit 7.000 Zuschauern zu kalkulieren und darauf seinen Etat von 3,8 Millionen Euro, den zweitgrößten in der Bundesliga hinter Kiel, aufzubauen. Droht hier bereits die nächste Pleite?

Das kann ich nicht beurteilen, aber es ist durchaus möglich. Auf der anderen Seite ist das für den VfL Bad Schwartau die einzige Chance gewesen: die Flucht nach vorne. Wenn die Sache in Hamburg scheitert, wird es die Mannschaft nächste Saison nicht mehr geben. Wenn es klappt, ist’s okay.

In Magdeburg scheinen Sie solche Probleme nicht zu kennen. Warum boomt Handball im Bördeland?

Das hat in erster Linie mit unserer großen Handball-Tradition zu tun. Und natürlich mit unserer Nachwuchsarbeit. Rund 200.000 Euro gehen jährlich in unser Jugendinternat, in dem sich mittlerweile Talente aus dem ganzen Bundesgebiet entwickeln. Verbunden mit der Tradition und unserem Einzugsgebiet haben wir so über Jahre einen Prozess in Gang gesetzt, der uns wieder in die europäische Spitze befördert hat.

Warum ist Ihnen mit Handball gelungen, was vielen Traditionsklubs im Osten mit Fußball nicht gelungen ist: zu überleben. Mehr: Erfolg zu haben?

Weil für den Fußball die finanzielle Basis nicht da ist. Handball kommt ja schon mit Etats von 2,6 Millionen Euro aus, im Fußball hingegen sind schon in der Regionalliga Etats von acht bis zehn Millionen an der Tagesordnung. Das ist in strukturarmen Regionen wie hier nicht zu machen.

Was bedeutet der SCM für Magdeburg und die Region?

Neben dem sportlichen Erfolg bietet der SCM auch einen ganz, ganz wichtigen Motivationsfaktor: Die Leute sehen, dass auch ein Unternehmen aus der Region, in dem Fall eben ein Sportunternehmen, im Weltmaßstab nicht nur mithalten kann, sondern ihn sogar bestimmt. Da erfüllen wir durchaus eine Vorbildfunktion, weil die Menschen merken, dass man tatsächlich oben mitmischen kann, auch wenn man aus dieser Region kommt und die gleichen Probleme hat wie sie.

Und um die Begeisterung weiter anzuheizen, heißt der SCM nun nicht mehr SCM, sondern neuerdings Gladiators. Warum war Ihnen der alte Name nicht mehr gut genug?

Das ist so nicht ganz richtig. Der SCM heißt nach wie vor SCM, nur eben SC Magdeburg Gladiators. Das ist einfach ein Beiname.

Der welchen Zweck hat?

Wir wollen damit den Altersbereich zwischen 15 und 30 Jahren ansprechen. Gerade dieser Altersbereich ist dem Handball ja immer weniger zugetan, und wir wollen diese jungen Leute nun über den Name Gladiators für Handball und den SC Magdeburg interessieren.

Und über den Name Stefan Kretzschmar, dessen Managerin maßgeblich an der ganzen Sache beteiligt war und ist.

Das ist in anderen Sportarten doch nicht anders: Die ganze Euphorie um Basketball wird doch nur durch Dirk Nowitzki hervorgerufen und durch nichts anderes; Schwimmen ist langweilig, wenn Franziska van Almsick nicht schwimmt. Sind die beiden dabei, bekommt ihre Sportart einen Push – und Fernsehzeit. Das ist das einzige Thema.

Und sie übertragen das nun auf Handball …

Im Handball hat man das in den letzten Jahren etwas verschlafen, bis auf uns: Ich glaube, wir haben Stefan auch in der Vergangenheit schon ganz schön gepusht.

Stoßen Sie mit der Umbenennung nicht auch viele eingefleischte SCM-Fans vor den Kopf?

Das ist völlig normal. Man kann es nie allen recht tun. Aber das Thema ist langfristig ausgearbeitet und mit unseren Werbepartnern vorbereitet. Und auch die waren alle der Meinung, dass wir den Handball anders positionieren müssen, dass wir ihn ein wenig vom Staub befreien müssen. Wir geben dabei ja nicht unsere Tradition auf, sondern wir zeigen nur, dass wir uns der Jugend öffnen – und damit der Werbeindustrie und somit auch dem Fernsehen.

Was meinen Sie damit?

Für die Werbeindustrie ist es entscheidend, wie viele 15- bis 30-Jährige vor dem Fernseher sitzen. Weil das ihre zukünftigen Konsumenten sind.

Und die erreicht man, wenn man sich Gladiators nennt?

Nur der Name allein ist nichts, man braucht ein Programm, das ihn füllt.

Das bei den Gladiators wie aussieht?

Unter anderem wird es eine wahrscheinlich 14-tägige Handball-Fernsehsendung im MDR geben, die unter diesem Aspekt läuft.

Was wird sich konkret für den Fan in der Halle ändern?

Wir wollen das Drumherum verfeinern. Unter anderem wird die Halle umgestaltet; und auch die Nachbereitung der Spiele wird eine andere sein. Wir wollen einfach ein bisschen die Regie ändern, um Handball noch mehr zu einem Erlebnis zu machen.

Weil er alleine nicht mehr ausreicht, um sich auf dem engen Sportmarkt dauerhaft etablieren zu können?

Das ist bei keiner Sportart mehr der Fall. Da unterscheidet sich Handball nicht von Basketball oder Fußball. Was auf dem Platz passiert, reicht alleine nicht aus, um das Interesse der Leute zu gewinnen. Sport ist heute wie Theater. Die Leute wollen über das Sportliche hinaus unterhalten werden. Und sie wollen Typen sehen, so wie Effenberg in Wolfsburg.

Und Erfolg haben!

Darüber brauchen wir gar nicht zu reden: Wenn der Erfolg nicht stimmt, ist alles andere umsonst.

Herr Hildebrandt, was ist wohl schwerer: Die beste Vereinsmannschaft der Welt zu werden – oder es zu bleiben?

Es war ein langer und schwerer Weg, diese Mannschaft zu werden. Und es wird ein genauso schwerer Weg sein, es zu bleiben. Zumal mit dem Gewinn der Champions League eine radikale Verjüngung eingeleitet wurde. Wir sind heute mit Abstand die jüngste Mannschaft der Bundesliga, wir haben sieben Spieler unter 23 im Team. Wenn wir in dieser Saison trotzdem unsere Position halten könnten, also die Champions League gewinnen oder deutscher Meister werden, dann wäre das phantastisch. Wir hätten dann eine lange, erfolgreiche Zukunft vor uns.

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