: Die Umkehr des bösen Mr Morris
Amerikas gefürchtetster Spin-Doctor hat sich besonnen – und empfiehlt jetzt auch Stoiber und Schröder mehr Substanz statt mehr Show
MARL taz ■ Lange galten sie als Meister der Verpackung, doch ausgerechnet in ihrer angelsächsischen Heimat mühen sich die Spin-Doctors inzwischen, vom Schein zurück zum Sein zu kommen. Der Brite Peter Mandelson, einst als Obertrickser im Auftrag Tony Blairs berüchtigt, verkündete kürzlich: „Spin is dead.“ Sein amerikanischer Kollege Dick Morris war gestern sogar nach Deutschland gereist, um sein neues Credo zu verkünden: Auf die Inhalte kommt es an, nicht auf die Verpackung.
Morris’ Umkehr ist die Antwort auf die Krise einer Branche, als deren rücksichtslosester Vertreter er galt. Morris, der für die US-Republikaner gearbeitet hatte, verlor seinen Job bei Demokrat Bill Clinton wegen der Affäre mit einem Callgirl, das während seiner Telefonate mit dem Präsidenten zuhören durfte.
„Politik ist kein Schönheitswettbewerb, sondern ein Schachspiel“, lautet sein Leitsatz, „Wahlkämpfe werden um die Köpfe der Wähler mehr als um die Herzen geführt.“ In Deutschland, befindet der Experte, treten zwei Kandidaten an, die nicht wissen, was im Kopf ihrer Wähler vor sich geht. Warum sonst würden sie sich um das Thema Arbeitslosigkeit streiten? Kein vernünftiger Wähler glaube im Ernst noch, Innenpolitik könne in einer globalisierten Weltwirtschaft neue Arbeitsplätze schaffen. „Stoiber und Schröder könnten genauso gut Regen oder Sonnenschein versprechen.“ Damit beerdigt Dick Morris Clintons berühmtestes Wahlkampfrezept: „It’s the economy, stupid.“
Künftig müssten Politiker mit Anliegen werben, auf die sie realen Einfluss haben – und dabei der politischen Konkurrenz ein Thema wegschnappen. Linken Parteien empfiehlt Morris, bei „rechten Themen“ wie innerer Sicherheit oder Begrenzung der Staatsausgaben zu punkten. Rechte Parteien können sich vor allem bei „linken“ Anliegen wie Bildung, Armutsbekämpfung und der Umwelt profilieren. Der französische Sozialist Jospin, der die Wirtschaft zum Thema machte, verlor die Präsidentschaftswahlen erbärmlich, während der erfolgreiche Konservative Chirac über innere Sicherheit (rechts) und Armut (links) sprach.
Morris’ heißer Tipp für das Thema der Zukunft lautet übrigens „Umwelt“. Auch privat scheint sich Morris’ innere Einkehr ausgezahlt zu haben: Zu den Marler Medientagen kam der einstige Seitenspringer in Begleitung seiner langjährigen Ehefrau. PATRIK SCHWARZ
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