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Filmmaterial zur Debatte

Die bewegten Bilder erobern ihre Vieldeutigkeit zurück: Das Metropolis zeigt heute die Kurzfilmkompilation „Underground Zero“

von CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK

Kurz nach den Anschlägen auf das World Trade Center reüssierte Peter Struck mit dem Ausspruch: „Heute sind wir alle Amerikaner!“ Hätte er „Sternenbanner!“ gesagt – oder gar „Sternenbanner, Sternenbanner!“, es wäre kaum überraschend gewesen. Vieles deutete darauf hin, auf das Ereignis folge nicht allein eine Einschränkung dessen, was gesagt werden darf, sondern auch die Reduktion allen Sag- und Zeigbaren auf wenige einzelne, stetig wiederholte Bilder.

Vor wenigen Tagen sorgte in Venedig die Kurzfilmkompilation 11 09 01 – September 11 für Begeisterungsstürme. Namhafte RegisseurInnen wie Samira Makhmalbaf, Mira Nair, Youssef Chahine, Ken Loach oder Sean Penn präsentieren in kurzen Episoden jeweils eine spezielle Sicht auf die Anschläge und ihre Folgen. Doch es bedarf nicht erst internationaler filmischer Autoritäten, um zu demonstrieren, wie wenig es gelungen ist, „andere“ Bilder zum Thema mundtot zu machen. Das zeigt eindrücklich die Kurzfilmzusammenstellung Underground Zero, die heute im Metropolis zu sehen ist.

Die US-Filmer Jay Rosenblatt und Caveh Zahedi baten eine Woche nach den Anschlägen RegisseurInnen aus dem Off-Bereich, mit einem kurzen Beitrag zu dem Ereignis Stellung zu nehmen. Zahedi suchte in seinem Filmseminar, bei laufender Kamera, nach Ähnlichkeiten zwischen den Konfliktlösungsstrategien auf internationaler Ebene und jenen im Mikrokosmos des Lehrbetriebs. Andere berichten sehr subjektiv von Stimmungen, die sie nach den Anschlägen begleitet haben. Die Stimme des Propheten entdeckte Robert Edwards in einem 1998 aufgenommenen Interview im 44. Stock des WTC: Ein Veteran und Sicherheitsbeamter salbadert dort von seinen Erlebnissen in früheren Kriegen, um schließlich vor denen der Zukunft zu warnen, die sich nicht auf offenem Feld, sondern in den Großstädten des Westens selbst abspielen.

Wie in 11 09 01 – September 11 verweigern sich auch hier die FilmemacherInnen den retardierenden Bildern der einstürzenden Türme, auf die sich die Berichterstattung beinahe sämtlicher Fernsehsender für Tage reduzierte. Norman Cowie setzt sich in seinem Beitrag Scene From an Endless War mit der plumpesten Intervention der Bush-Administration auf dem Schlachtfeld der Bilder auseinander. Zu wiederkehrenden Fernsehausschnitten montierte er im Stil einer am unteren Bildrand laufenden Tickermeldung Sätze, die das Treffen zwischen Bush-Berater Karl Rove und über 40 Hollywood-Offiziellen im November 2001 ironisch resümieren: Die Filmindustriellen hätten dem Politiker versichert, sie würden nur noch solche Bilder und Töne auf den Markt bringen, die jede vernünftige Debatte über den Krieg beenden.

Dass die unterstellte Selbstverpflichtung eingehalten wurde, dafür sprechen Monate später zahlreiche US-Kriegs- und Katastrophen-Filme. Aber das sind bei weitem nicht alle.

heute, 21.15 Uhr, Metropolis

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