chronik: Hamburg und der 11. September
11. September 2001: Alle öffentlichen Gebäude sind trauerbeflaggt. Die Sicherheitsvorkehrungen für amerikanische und jüdische Einrichtungen werden verschärft, das US-Konsulat am Alsterufer wird weiträumig abgesperrt. Der Wahlkampf für die Bürgerschaftswahl am 22. September wird ausgesetzt.
12. 9.: Im Rathaus liegen Kondolenzlisten aus, in die sich HamburgerInnen eintragen können, zahlreiche Menschen legen vor dem US-Konsulat Blumen nieder. 250 Eimsbüttler SchülerInnen ziehen in einem stillen Trauerzug vor das US-Konsulat. Der Hamburger Sportbund sagt alle Sportveranstaltungen am Wochenende ab.
13. 9.: Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) und der DGB rufen dazu auf, zum Gedenken an die Terroropfer um 10 Uhr für zehn Minuten die Arbeit ruhen zu lassen. Gleichzeitig stehen für fünf Minuten alle Busse und Bahnen des HVV still. 20.000 Menschen kommen zu einer Mahn- und Gedenkfeier auf den Rathausmarkt. Über 2.000 Kinder und Jugendliche treffen sich zu einem Schweigemarsch vom Hauptbahnhof zur Moorweide. Viele Hamburger Kirchen öffnen ihre Türen für stille Gebete und Andachten. Die Polizei stürmt die Wohnungen von Marwan Al-Shehhi und Mohammed Atta in Harburg. Auch in Langenhorn wird eine Wohnung durchsucht.
14. 9.: Alle Hamburger Kirchenglocken läuten um 12 Uhr für die Opfer in den USA. Am Mahnmal St. Nikolai wird ein ökumenischer Friedens- und Gedenkgottesdienst gehalten. Rund 1.000 SchülerInnen demonstrieren vor der Wohnung der zwei mutmaßlichen Attentäter in Harburg gegen Terror und Krieg. Im Rathaus wird über die Folgen der Attentate für die Bürgerschaftswahl spekuliert.
15. 9.: Rund 400 afghanische Oppositionelle gehen auf die Straße, um zu trauern und auf ihre Sicht der Dinge aufmerksam zu machen.
16. 9.: Rund 1.000 Menschen beteiligen sich an einer Demonstration „Wieder die Logik der Eskalation“ durch die Innenstadt.
17. 9.: Das FBI verdächtigt nach Mohammed Atta und Marwan Al-Shehhi nun auch den Libanesen Ziad Samir Jarrah, der an der FH Flugzeugbau studierte. Alle drei sollen in den entführten Flugzeugen gesessen haben. Insgesamt 15 Wohnungen sind bislang in Hamburg durchsucht worden. Hamburger Muslime appellieren an die Bevölkerung, die Mitglieder ihrer Glaubensgemeinschaft nicht pauschal für die Anschläge in den USA verantwortlich zu machen.
18. 9.: Neonazis und Rechtsextreme im Norden nutzen die Ereignisse in den USA, um gegen die Einsätze deutscher Soldaten unter NATO-Kommando Front zu machen. An der FH wird der Opfer der Terroranschläge gedacht.
19. 9.: Rund 20 in Hamburg ansässige afghanische Organisationen bieten den USA militärische Kooperation bei einem Vorgehen gegen die Taliban an. Im Springer-Verlag gehören ab sofort „die Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika“ zu den Prinzipien, die Mitarbeiter bei ihrer Einstellung unterzeichnen müssen. Immer mehr Muslime berichten von Beleidigungen im Alltag.
20. 9.: Rund 60 VertreterInnen nahezu aller repräsentativen afghanischen Organisationen der Stadt treffen sich im Hamburger Rathaus, um eine gemeinsame Resolution zu verabschieden.
21. 9.: Die Bundesanwaltschaft erlässt internationale Haftbefehle gegen Said Bahaji, der an der TU Harburg eingeschrieben war, und Ramzi Binalshibh, der Sprachkurse am Studienkolleg der Uni belegte. Beide sollen mit den mutmaßlichen Attentätern Mohammed Atta, Marwan Al-Shehhi und Ziad Samir Jarrah befreundet gewesen sein. In Harburg demonstrieren 1.200 Menschen gegen Terrorismus und Krieg.22. 9.: Rund 600 Menschen nehmen an einer Friedensdemonstration teil.
25. 9: Die Hamburger Firma „Import-Export-Company“ von Mamoun Darkazanli gehört zu den den 27 Privatleuten, Gruppen und Organisationen, denen die USA wegen Verdachts von Verbindungen zu Ussama bin Laden die Konten gesperrt hat.
26. 9.: Mamoun Darkazanli meldet sich in Hamburg und streitet eine Verbindung zu bin Laden ab.
1. 10.: In Hamburg beginnt die verdachtsunabhängige Rasterfahndung, bei der nach bestimmten Täterprofilen, wie Herkunft aus einem islamischen Land, ein für die Fahnder interessantes Studienfach oder häufiges Reisen, gesucht wird. Der ASten der Hamburger Hochschulen rufen die Univerwaltungen auf, keine Daten herauszugeben.
6. 10.: Rund 500 Menschen demonstrieren in der Innenstadt gegen einen möglichen Militärschlag der USA oder der NATO gegen Afghanistan.
8. 10.: Rund 800 DemonstrantInnen protestieren in der Innenstadt gegen die Angriffe der USA auf Ziele in Afghanistan.
12. 10.: Die Zahl der anonymen Bombendrohungen in Hamburg hat sich nach den Terroranschlägen in den USA verfünffacht.
20. 10.: Etwa 30 Neonazis demonstrieren in Lübeck gegen „linken Terror“. Die Veranstaltung wird von rund 200 GegendemonstrantInnen begleitet.
24. 10.: Die Zahl der Hamburger Studenten, nach denen international gefahndet wird, hat sich weiter erhöht: Auch Zakariya Essabar, der an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften für Medizintechnik eingeschrieben war, wird jetzt verdächtigt, an den Anschlägen beteiligt gewesen zu sein. Bei der Rasterfahndung bleiben nach dem Abgleich der Daten von Zehntausenden wenige hundert Personen übrig.
26. 10.: Hamburger AfghanInnen verurteilen den Krieg in ihrem Herkunftsland.
3. 11.: Etwa 5000 Menschen fordern auf einer Demonstration des „Hamburger Forums für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung“ das sofortige Ende des Krieges gegen Afghanistan.
6. 11.: Initiativen und AnwohnerInnen demonstrieren in Schnelsen-Süd für das „friedliche Zusammenleben aller Menschen – egal welcher Hautfarbe und Religion“.
30. 11.: Mit Mounir el M. gerät der siebte Hamburger Student in den Verdacht, in die Terroranschläge verwickelt zu sein. Er ist der erste, der verhaftet wird. Nach Said Bahaji, Ramzi Binalshibh und Zakariya Essabar wird weiterhin gesucht.
1. 4.: Über 4000 Menschen nehmen am Hamburger Ostermarsch unter dem Motto „Aufstehen für den Frieden – eine andere Welt ist möglich“ teil, die höchste Zahl seit vielen Jahren. 22. 5.: Mehr als 1000 Menschen demonstrieren in Hamburg gegen die Politik des US-Präsidenten George W. Bush anlässlich seines Berlin-Besuches.
13. 6.: Hamburg gerät erneut ins Visier der Fahnder: Der seit Monaten verschwundene Mohammed Haidar S., der bis zu den Anschlägen in Hamburg lebte, soll nach US-Presseberichten den Hauptattentäter Mohammed Atta rekrutiert haben. chronik: tina spies
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