piwik no script img

Ein Bayer auf der Lauer

Die Union behält Edmund Stoiber als Kanzleranwärter. Angela Merkel übernimmt den Fraktionsvorsitz – nach einigem Ärger mit Amtsinhaber Merz

„Dass Frau Merkel dieses Amt gerne zusätzlich hat, ist ja keine Überraschung“

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Vielleicht muss man es ja positiv sehen? So ein ordentlicher Eklat um Posten, Macht und Einfluss lässt womöglich den Schmerz der Niederlage leichter vergessen. Da trifft es sich gut, dass CDU und CSU schon lange vor dem Wahlsonntag vereinbarten, eine wesentliche Personalentscheidung sofort am Montag zu treffen: Wen nominieren die Parteigremien als neuen Fraktionsvorsitzenden im Bundestag?

Gestern Morgen noch galt Angela Merkel als die klare Favoritin. Als die CDU-Vorsitzende schließlich nachmittags um halb drei mit Edmund Stoiber vor die Kameras tritt, genügt ein Blick in ihr Gesicht, um zu sehen: Die Sitzungen von CDU-Präsidium und -Vorstand sind für sie alles andere als angenehm verlaufen. Noch-Fraktionschef Friedrich Merz zeigte sich renitent.

Der enge Zeitplan zwingt nicht nur die Führung beider Parteien, ihr Verhältnis zueinander zu klären. Er erlaubt auch der Öffentlichkeit einen frühen Einblick in das Machtgefüge der Union nach der Niederlage. Wie stark ist Angela Merkel? Wo bleibt Friedrich Merz? Und was wird aus Edmund Stoiber? Bis Sonntagabend 18 Uhr war der Bayer Kanzlerkandidat – seitdem ist er auf der Suche nach seiner neuen Rolle.

Will man abschätzen, welche Stellung Edmund Stoiber nach diesem Wahlsonntag in der Union hat, hält man am besten Peter Rauen an. Das Mitglied von CDU-Präsidium und -Vorstand hat die Sitzung der Führungskräfte seiner Partei für ein paar Minuten verlassen, um ein Fernsehinterview zu geben. „Wünschen Sie sich Angela Merkel als Fraktionsvorsitzende?“, wird der gelernte Maurer gefragt. „Darauf antworte ich jetzt nicht“, sagt Rauen, der auch Fraktionsvize ist, „denn Edmund Stoiber kommt ja jetzt gleich in die Vorstandssitzung.“ Ohne den CSU-Chef geht zumindest vorerst nichts mehr – nicht mal in den Gremiensitzungen der großen Schwesterpartei im Berliner Konrad-Adenauer-Haus.

Anders als bei der Konkurrenz um die Kanzlerkandidatur stellt der CSU-Chef sich diesmal hinter seine Kollegin Parteivorsitzende; schließlich kostet es nicht seinen Posten. Doch Stoibers Unterstützung für Merkels Ambitionen bringt nicht den erhofften Durchbruch. Schon im CDU-Präsidium war es nach Berichten von Teilnehmern laut zugegangen. Auch die Sitzung des fast 50-köpfigen Vorstandes in Anwesenheit des Bayern verlief offenbar nicht viel besser.

„Ich habe den Mitgliedern meine Überlegungen mitgeteilt“, sagt Merkel hinterher – eine reichlich dürre Formulierung für ein Manöver, das sie immerhin zur unbestreitbar mächtigsten Frau der CDU machen soll.

Weil Merkel Merz unverändert zur kampflosen Aufgabe bewegen will, meidet sie jeden Eindruck von Kritik an ihm. Eine Zusammenlegung von Fraktions- und Parteivorsitz sei „strukturell“ sinnvoll, damit die Arbeit der Opposition „besser und gut erledigt werden kann“. Der Versuch eines Lobs gerät ihr zur Stilblüte: „Das Gesicht von Friedrich Merz soll in der Union erkennbar als Stimme und als Kopf da sein.“ Natürlich sei ein solcher Amtsverzicht persönlich schwierig, sagt sie anschließend in eine Fernsehkamera, „das habe ich schon erlebt, da weiß ich, dass es jetzt eine Rolle spielt“. Auch Stoiber müht sich, Merz eine Brücke zu bauen, geizt nicht mit Anerkennung.

Merkel bedauert: „Wir haben in der Opposition nur sehr begrenzt die Möglichkeit, Personen mit Ämtern zu versehen.“ Der Zeitplan steht trotzdem, Dienstag früh sollen die neuen Abgeordneten wählen. „Wie viele Kandidaten es gibt, wird sich bis morgen klären“, meint die Parteivorsitzende.

Solange dauert es nicht. Keine halbe Stunde nach Merkel stellt sich ihr Konkurrent im Reichstag vor die Kameras. „Dass Frau Merkel dieses Amt gerne zusätzlich hat, ist ja keine Überraschung“, verkündet Merz, deshalb habe er beschlossen, nicht erneut anzutreten. „Ich bin da frei in meiner Entscheidung.“ Erstaunen erregt seine Behauptung, den Schritt bereits am Wahlabend beschlossen zu haben. Wieso er den Mitgliedern von Vorstand und Präsidium davon nichts sagte, bleibt Merz’ Geheimnis. Fragen nach möglichen Kompensationsleistungen von der Parteivorsitzenden wehrt er jedenfalls ab: „Es muss sich niemand um meine Resozialisierungsfähigkeit Sorgen machen.“

Der erste Führungskonflikt nach der Wahl ist damit leidlich schnell beigelegt worden. Trotzdem scheint die Union erst langsam zu begreifen, dass sie sich am Wahlabend zwischen 18.30 Uhr und 0.30 Uhr vom möglichen Gewinner zum Verlierer wandelte: Kurz nach Mitternacht ging der Union aufgrund mehrerer SPD-Überhangmandate sogar der Trostpreis verloren, größte Fraktion im deutschen Bundestag zu werden. Die ersten zwei Wahlziele waren schon wesentlich früher am Abend perdu: Weder reichte es für einen Kanzler Stoiber noch für die erhofften „40 Prozent plus x“.

So hat sich auch bei Stoiber die Rhetorik deutlich gewandelt. „Wir haben gewonnen“, rief er nach den ersten Umfragen. „Wir sind auf Augenhöhe mit der SPD“, lautete die gesichtswahrende Formel am nächsten Tag. „Binnen Jahresfrist werden wir die Regierung neu bilden können“ – diesen Optimismus des Vorabends hat der Kanzlerkandidat inzwischen relativiert. Ebenso sagt er nun: „Das Amt des Kanzlerkandidaten ist mit der Wahl natürlich erloschen, das ist keine Frage.“

Trotzdem halten er und Merkel auch bei ihrer gestrigen Pressekonferenz an einer bemerkenswerten Arbeitsteilung fest: Sollte „in den nächsten ein bis zwei Jahren“ die rot-grüne Mehrheit scheitern, werde Stoiber erneut der Kanzlerkandidat der Union sein. „Da gibt es keine lange K-Fragen-Diskussion“, bestätigt die CDU-Vorsitzende.

Einen Haken hat der Plan. Zum Kanzler kann nur gewählt werden, wer Bundestagsabgeordneter ist. Stoiber jedoch wird auf sein Mandat verzichten, um bayerischer Ministerpräsident zu bleiben. CSU-Generalsekretär Thomas Goppel kündigt daher bereits einen Ausweg an: Scheitert die rot-grüne Koalition, müssten Neuwahlen her. Stoiber prophezeit Rot-Grün: „Es wird ein bitterer Winter.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen