: „Es hat gar nicht gezischt“
Im Geschworenenweg-Prozess gegen einen Baggerführer sagten gestern Bauleiter und Polier aus: Alle leiden psychisch, niemand aber spricht von den Toten
Klaus-Heinrich B. sitzt bedröppelt auf der Anklagebank: Die Augen hat er niedergeschlagen, die Wangenknochen mahlen. Erst als sein vorgesetzter Bauleiter im Zeugenstand aussagt, dass B. „33 Jahre lang immer zuverlässig für uns gearbeitet hat“, kann der Baggerführer die kontrollierte Fassade nicht mehr aufrecht erhalten: Still fängt er zu weinen an.
Am gestrigen zweiten Verhandlungstag des Prozesses wegen der Gasexplosion, die vor knapp zwei Jahren ein Seniorenhaus der Heilsarmee im Geschworenenweg (Neustadt) zerstörte und zwölf Menschen das Leben kostete, befasste sich die Große Strafkammer des Bremer Landgerichts überwiegend mit technischen Details: Wie tief lag die Gasleitung, die B. mit einem Löffelbagger bei Kanalbauarbeiten angehoben haben soll? Warum hatte der Hausanschluss keine „Ausziehsicherung“, die verhindert hätte, dass Gas in den Keller strömt und sich kurz darauf entzündet? Welche Schichten aus Blaubasalt, Pflastersand, Packlage und Buntsandstein bildeten den Straßenbelag?
Derzeit gebe es etwa 93.000 Gas-Hausanschlüsse in Bremen, berichtete ein Technikvorstand
der sbw Enordia im Zeugenstand. Es komme gar nicht selten vor, dass Leitungen durch Bauarbeiten – gerade auch beim Erdaushub – beschädigt würden und Gas austrete. Jede Baufirma bekomme von der swb, zusammen mit den Plänen über den Verlauf der Versorgungsleitungen, eine Schutzvorschrift: Diese sieht unter anderem vor, dass „Erdarbeiten in der Nähe von eingezeichneten Versorgungsleitungen nur von Hand“ gemacht werden dürfen. Deshalb müssten Arbeiter „normalerweise“ zunächst die Leitungen ausfindig machen, ehe sie mit schwerem Gerät der Straßenoberfläche zu Leibe rückten.
„Branchenüblich“ sei das genau anders herum, versicherten sowohl Bauleiter als auch Polier der betroffenen Kanalbaufirma. Erst nachdem man den Straßenbelag abgetragen habe, werde „per Handschachtung“ nach Gas-, Wasser- und Stromleitungen gesucht. „Das war eine problemlose und glatte Baustelle“, sagte der Bauleiter, „die acht Mann der Kolonne dort waren unsere besten Leute“. Der Baggerführer habe nicht sehen können, ob das von ihm angehobene Rohr nun eine Gas- oder Wasserleitung gewesen sei. Und überdies habe es ja auf der Straße „nicht gezischt, nicht gefunkt und nicht nach Gas gerochen“: Also könne man niemandem die Schuld an dem Unglück geben.
Seit der Explosion sei in der Firma nicht mehr viel über das Geschehen gesprochen worden: „Das Thema war für uns tabu.“ Die Arbeiter seien „niedergeschlagen, lustlos und apathisch“, er selbst sei beim Psychiater und in Kur gewesen.
Ein klägliches Bild gab der Polier ab, der in den Stunden vor dem Unglück alle möglichen Geschäfte verrichtete, aber nicht die Arbeit des ihm unterstellten Baggerführers kontrollierte: „Was muss ein Baggerführer machen, wenn er eine Leitung anhebt“, fragte ihn der Vorsitzende Richter Reinhard Wacker – ratloses Schweigen. Ob er sich vorstellen könne, warum man einen solchen Vorfall sofort den Stadtwerken oder der Feuerwehr melden müsse? Die Antwort: „Jetzt ja.“ Markus Jox
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