einsatz in manhattan: New York hat ein Erotikmuseum
Sex and the City
Wenn seine Höhen und Tiefen erst einmal in „Sex and the City“ entsprechend ausgelotet wurden, dann lässt sich auch hierzulande bei Tisch angeregt über Analverkehr plaudern. Und seit „Eyes Wide Shut“ macht auch Gruppensex als Thema bei Dinnergesellschaften die Runde. Gesprächsthemen unter der Gürtellinie sind salonfähig, sobald die Entertainment-Industrie die Quervorlage dazu geliefert hat. Film und Fernsehen bieten Grund, Vorwand und Fassade, mit dem Tischnachbarn ohne Scham endlich auch mal über fleischliche Gelüste zu parlieren. Hier mag das neue Museum of Sex, das am 5. Oktober an der 5th Avenue, Ecke 27th Street in New York eröffnet, seine Klientel finden. Für Leute freilich, die ohne gegebenen Anlass ebenso angenehm wie ungehemmt über Sex sprechen und denen es höchstens peinlich ist, einen defekten Vibrator zu returnieren und beim Erwerb von Penthouse oder Playgirl festzustellen, dass sie das Heft bereits zu Hause haben, da der Monat noch nicht vorbei ist, bietet das Museum im Herzen Manhattans nichts, was der Rede noch das happige Eintrittsgeld wert wäre.
Eintritt ab 18, wobei heterosexueller Geschlechtsverkehr bis zum ersten Stock auf sich warten lässt. Vorher ist die Historie dran, sind Schwule, Lesbierinnen, Fetischisten, Huren, Crossdresser und Transvestiten an der Reihe, chronologisch unter „Handel“, „Laster“, „Bizarr“ oder „Fleisch“ arrangiert. Von der Decke hängende Vitrinen und Fotowände teilen drei große Räume in zahlreiche Gänge und geben unbeobachtet die Sicht auf die Unterkörper anderer Besucher frei, während man Abtreibungsutensilien aus dem 19. Jahrhundert oder Fotografien schwarzer wie weißer Männerpenisse in allen Variationen studiert. Kunterbunte Buchumschläge von „Lesbian Pulp Fiction“ aus den 50er- und 60er-Jahren sind neben Kopien der ersten „Wonder Woman“-Comics von 1941 gehängt. „Strange Sisters“ und „Trap of Lesbos“ lauten die Titel, wobei ihre Autoren wie Softpornodarsteller aus B-Movies klingen: Fletcher Flora und Stacey Clubb. Zwischen viel Kitsch und Weichzeichner finden sich Peitschen, Playboybunny-Kostüme und Lackstiefel, die so viel Spaß am Sex erwecken, wie die Kleiderhüllen der Musikstars im Hard Rock Café die Atmo ihrer Live-Auftritte vermitteln.
Im Museum of Sex kein Hardcore, so weit das Auge reicht. Auch bei den Videos nicht. Da erzählt die 78-jährige afroamerikanische Bluessängerin Gertrude „Ma“ Rainey von ihrer Liebe zu anderen Frauen, und bei frühen Stummfilmpornos wie „The Casting Couch“ von 1924 ersetzen Zwischentitel das Tonstudiogestöhne. „Hurry up honey, I’m so hot“ ist da zu lesen oder „More! More!! MORE!!!“. Und als Kondome werden tatsächlich Fischhäute gereicht. In dem Raum für die Zeit von „1960–Heute“ stoßen wir auf den unvermeidlichen Robert Mapplethorpe, die Do- it-yourself-Sexgöttin Annie Sprinkle sowie eine verharmlosende Dokumentation über Geschlechtskrankheiten à la Aids light. Das Ganze, wie soll es anders sein, endet im Cyberspace. „1001 Nights in Manhattan“ bietet eine interaktive Landkarte der Insel bei Nacht. Man klickt auf verschiedene Symbole und liest unverfängliche Geschichten über sanfte Schändungen von Flussleichen im East River oder eichelgeile Eichhörnchen im Central Park.
Ganz klar, das Problem des Museums beginnt mit dem Sujet. Sieht man sich Gemälde, Skulpturen oder Videokunst an, dann um ihrer selbst oder des Künstlers wegen. Starrt man aber auf Versatzstücke einer allgemein bekannten Handlung, fallen diese gegenüber dem eigentlichen Akt automatisch ab. In Shakespeares Othello beschreibt Iago selbigen als „the beast with two backs“, wohlgemerkt ein Tier mit zwei Rücken, nicht eins mit vier Augen. Sex bleibt synästhetisches Symphonieorchester, kein visuelles Solo.
Zudem ist die Ausstellung so forciert selbstverständlich wie vor zwei Jahren die meisten amerikanischen Kritiken von Michel Houellebecqs „Elementarteilchen“. Ein einziges schulterklopfendes „nichts kann uns mehr schocken“. Das in New York tatsächlich nichts mehr schocken kann, hat mehr mit dem ehemaligen Bürgermeister Rudolph Giuliani zu tun, der 1999 allen Prostituierten, Sexläden und Stripclubs den Krieg erklärte. Wer von Manhattan aus heute auf eine anständige Fetischparty will, nimmt stundenlange Anfahrten in Kauf. Derweil mag das New Yorker Museum of Sex ins sterile Environment der gesäuberten Hochhausschluchten passen. An die Mutter aller Sexmuseen – das „Gabinetto secreto“ im Archäologiemuseum Neapels, das schamlose Denkmäler heidnischer Zügellosigkeit aus Pompeji in sich vereint – reicht es niemals heran.
Selbst im Museum of Sex kommt man also nicht auf seine Kosten. Wer sich aber langweilt, keinen Partner hat, von keiner Party oder Orgie weiß, sollte lieber Johnny Maldoro lesen, der im alternativen Stadtmagazin Village Voice wöchentlich mit viel Wortwitz neueste Pornos bespricht, Stripclubs für Männer und Frauen empfiehlt oder sein Augenmerk auf Videotheken mit Solokabinen richtet. Etwa ganze vier Stunden für knapp 10 Dollar im Video 206 auf der 14. Straße. Kaum mehr als die Hälfte des Eintrittspreises für das Museum of Sex und garantiert um einiges ergiebiger. THOMAS GIRST
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