: Greifbare Feindseligkeit
„Gegen die Welt, gegen das Leben“: Michel Houellebecq hat bereits Anfang der Neunzigerjahre eine Liebeserklärung an H. P. Lovecraft verfasst. Der biografische Essay ist nun auf Deutsch erschienen
von SEBASTIAN HANDKE
Nun liegt der Beweis vor. Michel Houellebecq kann auch anders, nämlich geradezu liebevoll schreiben. Sein erstes Buch von 1991 ist ein literarisch-biografischer Essay: eine Liebeserklärung an Howard Phillips Lovecraft, jenen amerikanischen Sonderling, der bei seinem Tod im Jahre 1937 ein nicht sehr umfangreiches Werk hinterließ, das man mit einigem Recht als ziemlich seltsam bezeichnen kann. Rätselhafte Geschichten nämlich, deren Hintergrund eine verborgene Population von zeitlosen Schreckenswesen bildet.
Ausgerechnet der französische Meister der öffentlichen Kränkung beteiligt sich an der florierenden Legendenbildung über den „Einsiedler von Providence“, der von seinen Verehrern auf eine Stufe mit Edgar Allan Poe gestellt wird, und bekennt: „Das Schönste ist, dass alle Versuche der Entmystifizierung fehlgeschlagen sind.“
Aber es ist doch mehr als einfach nur das Buch eines Fans (das allerdings nachhaltig zur Lovecraft-Lektüre animiert). Vieles von dem, was Houellebecq an Lovecrafts Schriften hervorhebt, scheint er auch für sich in Anspruch zu nehmen: den „absoluten Materialismus“, die Hinzunahme wissenschaftlichen Vokabulars als poetisches Mittel sowie das Gefühl, dass es in seinem Werk etwas gebe, das „nicht wirklich literarisch ist“. Außerdem ist da die Ablehnung von Freuds Psychoanalyse und seines „puerilen Symbolismus“ (Lovecraft). „Die menschlichen Handlungen“, so schreibt Houellebecq bereits hier, „sind genauso frei und sinnleer wie die freien Bewegungen der Elementarteilchen.“ Nur wenige Menschen hätten die Sinnlosigkeit des Lebens so fundamental erkannt wie Lovecraft – sich selbst, das darf man annehmen, zählt Houellebecq wohl auch dazu.
Also tauchen beide Autoren ihre Figuren wie U-Boote in eine Welt, die in Degeneration begriffen ist. Hier wie dort schleichen Gestalten durch die Kulissen, die zur Verabscheuung freigegeben sind – ohne Würde bei Lovecraft, ohne Liebe bei seinem heutigen Exegeten. Lovecrafts einsame, stets männliche Protagonisten sind kaum mehr als Sensoren-Träger, die das Schreckliche erfahren, damit es berichtet werden kann; und das Geheimnis, welches sich hinter all dem Hässlichen verbergen könnte, ist bestenfalls noch viel abstoßender. „Die Welt ekelte ihn an, und er sah keinen Grund für die Annahme, dass die Dinge anders aussehen würden, wenn man besser hinsähe.“ Mit der Offenbarung seiner Liebe zu Lovecraft bekennt Houellebecq sich abermals zur Antimoderne des Konservativen, bleibt in Sachen Misanthropie allerdings hinter jenem zurück – nicht nur, weil seine Welt eine korrumpierte ist, während sie bei Lovecraft immer schon verdammt war, sondern weil die Depression seiner Figuren Motive braucht. Die Rechtfertigung von Hass aus erfahrener Demütigung macht den Kern aus von Houellebecqs antikonsensualen Strategien, und so es ist kein Wunder, dass er dieses Buch als seinen eigentlich ersten Roman bezeichnet: Er macht Lovecraft zu einer weiteren Duplikation jener lebens- und liebesunfähigen Vereinzelungsmenschen, die seine Romane bevölkern – mit dem Unterschied, dass dieser hier keineswegs als mittelmäßig vorgestellt wird.
Insbesondere Lovecrafts fünf New Yorker Jahre könnten direkt aus der Feder von Houellebecq stammen. Auch ihm ist ein Hauch echter Liebe vergönnt, der schließlich am unwürdigen Leben in der Großstadt zerbrechen muss. Sein fast manischer Rassenhass wird dann auf die deprimierenden Erfahrungen in New York zurückgerechnet. Auf diese Weise schrumpft der Hass auf biedermeierliches Kleinmaß, und das lässt die überdimensionierte Kapitelüberschrift („Holocaust“) einigermaßen lächerlich erscheinen.
Ganz und gar nicht biedermeierlich sind dagegen jene Äonen übergreifenden Konstellationen im Lovekraft-Universum, in dem bizarre Fehlentwicklungen der Evolution entstellte Geschöpfe entstehen lassen. In „Schatten über Innsmouth“ sammeln sich amphibische Kreaturen, die aus der Vereinigung von Menschen und Seeungeheuern entstehen, zu einer okkulten Gemeinde; der eigentliche Horror stellt sich aber erst ein, als der Erzähler feststellen muss, dass er selbst ein solcher Mischling ist („dieser starre Blick“). Die Angst des Rassisten ist eben meistens auch die Angst vor der Vermischung, und einmal mehr ist das Monströse Ausdruck von Xenophobie. Houellebecq begeistert sich für Lovecrafts Fähigkeit, die Verabscheuung des Lebens und den Hass auf das Andersartige in eine „greifbare Feindseligkeit“ zu verwandeln.
Ganz besonders dürfte ihn faszinieren, dass Lovecraft sich der verhassten Welt nicht nur literarisch, sondern auch biografisch verweigerte. Sein Ekel war ausgeprägt und ließ ihn fast das gesamte Leben in den Räumen der eigenen Wohnung verbringen, wo er las, merkwürdige Zusammenhänge erfand und 100.000 Briefe schrieb.
Michel Houellebecq: „Gegen die Welt, gegen das Leben. H. P. Lovecraft“. Aus dem Französischen von Ronald Voullié. DuMont, Köln 2002, 120 S., 17,90 €
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen