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Die schwarze Ikone

Die Welt ist falsch, sie muss zerstört werden: Die russische Schriftstellerin Alina Wituchnowskaja stellte in der Berliner Volksbühne die deutschen Übersetzungen ihrer „totalitären“ Gedichte vor

von SEBASTIAN HANDKE

„Nekrorealismusneger / wir, ein Riesenhaufen Dreck / Marodeure, Lasterjäger / eisgekühlter Intellekt. / Wir, Eroberer der Huren / wir, die ganz genialen Dichter / pusten fremden Kreaturen / scharfen Rauch in die Gesichter“. Immer wieder zieht Alina Wituchnowskaja das Kinn hoch, so, als ob sie sich selbst dazu ermahnen muss, und blickt, während ihre Gedichte vortragen werden, auf die Zuhörer herab, ohne sie wirklich anzusehen, ein wenig autistisch. „Wir, die ganz genialen Dichter / es ist Zeit sich zu beeilen / loszuschießen, zu vernichten / alles eiskalt abzuknallen“. Als ein „Babouschka“ zwischen das mühsam Eingedeutschte rutscht, bemächtigt sich ein breites Grinsen ihres Gesichtes. Lächeln kann sie also, die „schwarze Ikone“ Russlands.

Wenn man ihre Gedichte liest, würde man das kaum annehmen. Alina Wituchnowskajas Texte sind so schwarz wie das Kleid und der Ledermantel, den sie trägt, und statt einer freundlichen Geste würde man eher erwarten, dass sie im nächsten Moment eine halbautomatische Handwaffe zieht und aller Höflichkeit ein Ende bereitet. Nun aber, da sie zu ihrer Buchpremiere in Deutschland ist, sieht man, dass diese Frau nicht einfach nur tough ist. Sie wirkt freundlich und hellwach, ein wenig kindlich sogar, ihre Haltung aber ist um einen Stolz bemüht, von dem man spürt, dass er hart erkämpft werden musste. „Ich bin auf dem Rachefeldzug für die Tränen eines Mädchens.“

Zwei Russen bauen sich neben dem Publikum auf, sie pöbeln in Russisch und auf Deutsch. Alina Wituchnowskaja lächelt wie zur Vergebung. Die Szene hat etwas Operettenhaftes, sie versichert aber, die beiden „Dummköpfe“ seien keineswegs von ihr bestellt gewesen, was man schon daran erkennen könne, dass sie an der falschen Stelle den Arm zum Hitlergruß erhoben hatten. Wahrscheinlich, so mutmaßt sie, hat der russische Geheimdienst FSB sie hier platziert, um die Veranstaltung zu stören.

Alina Wituchnowskaja hat ein Recht auf Verfolgungswahn. Kaum 21-jährig, wurde sie in das berüchtigte Butyrka-Gefängnis von Moskau gesteckt, später auch in die Psychiatrie. Mit einem Artikel über Drogenkonsum in Moskau hatte sie das Establishment gegen sich aufgebracht. Sie weigerte sich, ihre Informanten zu denunzieren, und so schob man ihr bei einer Wohnungsdurchsuchung Rauschgift unter. Als die Zeugen ihre Falschaussagen zurücknahmen, hatte sie 18 Monate in Haft verbracht.

Es ist die Geste antibürgerlicher Avantgarde, die Wituchnowskaja wählt, es ist aber auch Pop – eine Verweigerungshaltung, die aufs Ästhetische zielt. Sie teilt dieses Antikunstwollen mit Wladimir Sorokin und Eduard Limonow, jenen jungen, radikalen Russen, deren Bücher von der so genannten Putin-Jugend auf öffentlichen Plätzen eifrig entsorgt werden. Die Sprache sei desakralisiert, so sagt sie, vor allem das Gerede von Gerechtigkeit und Demokratie. Deshalb nimmt sie die abgenutzten Sprachklischees, Abzählreime, Zitate, Amtssprache und anderes, bricht sie auseinander und setzt sie so wieder zusammen, dass jene brutalen und rätselhaften Bilder daraus hervorgehen, die von geradezu klassischem Rhythmus und Versmaß zusammengehalten werden.

Ihre anspruchsvolle literarische Technik, für die sie von der russischen Literaturkritik als „kindliches Genie“ gefeiert wird, ist kaum ins Deutsche übertragbar. Doch das provokatorische Potenzial dürfte hierzulande Kaufempfehlung genug sein, man wird ihre Werke wohl lesen wie die von Michel Houellebecq: als Weltekel von Außenseitern.

Im postsowjetischen Russland dagegen hat ein solches Vorgehen etwas Existenzielles. Denunziantentum, Kollektivismus, Korruption und eine ganz spezifische Form der Gleichgültigkeit gehören zu einer Alltagskultur, die vom Putin-Regime bewusst gefördert wird. Alina Wituchnowskaja stilisiert ihren Hass, spuckt ihren Ekel aus. „Die Welt ist ein Konzentrationslager“, sagt sie und schreibt über die „Masse der demütig knienden Insektensklaven“ wie Zarathustra einst von den Hinterwäldlern. Dazu gesellen sich die Parolen des alten Fascho-Futurismus, der sich die Überwindung der falschen Welt durch ein reinigendes Stahlgewitter erhoffte: „Die Welt ist soweit / endlich gibt’s Krieg“. Die Falschheit dieser Welt, so glaubt sie, empfinden auch andere, ihnen fehle nur das Mittel, um sie abzustoßen. Sie will ihre Sprache zur Verfügung stellen. „Meine Texte müssten eine totalitäre Wirkung entfalten können. Das Fernsehen dürfte nur zeigen, was ich richtig finde.“ Dichterin sei sie ohnehin nur geworden, um andere beeinflussen zu können. „Mach mich zum Helden deines Comic-Strips!“ hatte sie mit Kajalstift an ihre Zellenwand geschrieben. Deshalb könne sie sich auch vorstellen, eine Sekte zu gründen, oder eine parteiähnliche Organisation, so wie die nationalbolschewistische Bewegung des auch nicht gerade feingeistigen Limonow, der seinerseits gerade in Haft sitzt. „Ich möchte mit der Jugend eine gemeinsame Sprache sprechen, damit sie nicht nach den verlogenen Werten lebt.“ Das hört sich nach einem fast schon aufklärerischen Programm an. Doch kaum ausgesprochen, nimmt Alina Wituchnowskaja die unvorsichtige Entzauberung ihres widersprüchlichen Projektes wieder zurück. „Die Welt kann nicht besser oder schlechter, sie kann nur beseitigt werden.“

Alina Wituchnowskaja: „Schwarze Ikone. Gedichte und Prosa“. Aus dem Russischen von Barbara Lehmann und Aleksej Khairetdinov. Dumont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2002, 120 Seiten, 14,90 €

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