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Patentlösung für die Insel

von KLAUS HILLENBRAND und JÜRGEN GOTTSCHLICH

So hat sich Yiannakis Papaioannou den Frieden nicht vorgestellt. „Unsere Politiker haben uns immer erzählt, dass wir in unsere Heimat zurückkehren könnten, aber das hat jetzt überhaupt nichts mehr damit zu tun“, beklagt sich der Exilbürgermeister von Kyrenia. Auch auf der anderen Seite, unter den türkischen Zyprioten, regt sich Widerstand. „Ein Skandal. Das darf nicht akzeptiert werden“, titelte die Zeitung Vatan.

Doch die aufgeregten Reaktionen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Zyperngriechen wie -türken mehrheitlich dem UN-Vorschlag für einen gemeinsamen Bundesstaat positiv gegenüberstehen. Die Regierung der griechischen Republik Zypern hat gestern dem Plan zugestimmt. Gleiches wird von der Führung der türkischen Zyprioten erwartet – auch wenn zunächst unklar blieb, wann ihr Ja erfolgt. 47 Jahre nach Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen den Inselbewohnern, 42 Jahre nach Gründung der gemeinsamen Republik, 39 Jahre nach einem blutigen Bürgerkrieg und 28 Jahre nach griechischem Putsch, türkischer Invasion und faktischer Teilung liegt erstmals ein umfassender Plan zur Lösung des Konflikts vor.

Die UNO hat den Insulanern die komplette Verfassung für ihren neuen Staat vorgegeben. „Take it or leave it“ (Nimm es oder lass es bleiben) lautet das Motto: Kleine Änderungen sind möglich, doch in zentralen Punkten soll am Entwurf nicht mehr gerüttelt werden.

Ebenso kompromisslos ist der Zeitplan. Schon am 12. Dezember sollen der Zyperngrieche Glavkos Clerides und der Türke Rauf Denktasch die Rahmenvereinbarung unterzeichnen. Nach Komplettierung der Verfassung ist für den 30. März 2003 eine Volksabstimmung auf beiden Seiten vorgesehen, und nur einen Tag später soll der neue Bundesstaat entstehen, der ein Jahr später der EU beitritt.

Die UN-Diplomaten haben einen kunstvoll gedrechselten Kompromiss für einen Staat entworfen, in dem keine Seite die andere majorisieren darf. Danach gehören der sechsköpfigen Regierung wenigstens zwei Vertreter der zyperntürkischen Minderheit an. Der Präsident und sein Vize, natürlich ein Grieche und ein Türke, sollen sich alle zehn Monate im Amt abwechseln. Gesetzesentwürfen muss nicht nur das Abgeordnetenhaus, sondern auch ein paritätisch besetzter Senat zustimmen. Verkracht man sich dennoch hoffnungslos, tritt das Verfassungsgericht als Schlichter auf, dem wiederum drei Griechen, drei Türken und drei Ausländer angehören. Für zwei Bevölkerungsgruppen, die sich über Jahrzehnte kübelweise mit nationalistischem Chauvinismus übergossen haben, sind diese Vorstellungen vom friedlichen Zusammenleben mehr als gewöhnungsbedürftig.

Kern des Verfassungsentwurfs ist die Aufteilung der Macht in zwei weitgehend selbstverwaltete Kantone, die, abgesehen von Außen- Finanz- und Steuerpolitik, die eigentliche Macht im Lande darstellen. Hier kommt der Plan den zyperntürkischen Vorstellungen entgegen, denn Insel-Griechen dürfen nur äußerst begrenzt auf dem Gebiet der Türken siedeln. Yiannakis Papaioannou hat deshalb kaum eine Chance, nach Kyrenia zurückzukehren, denn die Hafenstadt liegt mitten im türkischen Kanton. Die etwa 100.000 türkischen Siedler, die seit 1974 die Häuser vertriebener Griechen bewohnen, dürfen in großer Mehrheit bleiben. Alteigentümer bekommen lediglich eine Entschädigung. Durch Grenzkorrekturen erhalten zehntausende Flüchtlinge die Chance der Rückkehr. Dafür müssen Zyperntürken ihre längst angestammten Plätze verlassen – Protest ist programmiert.

International soll der neue Staat durch Garantieverträge mit Griechenland, der Türkei und der alten Kolonialmacht Großbritannien abgesichert werden. Athen und Ankara dürfen eigene Truppenkontingente auf der Insel unterhalten – eine Verbeugung gegenüber der Türkei, die allerdings den Großteil ihrer 35.000 Mann starken Militärmacht aus dem Norden abziehen müsste. Zypern selbst dagegen bliebe keine einzige Knarre: Das einheimische Militär wird komplett abgeschafft.

Dass eine Lösung nicht ganz einfach wird und nach jahrzehntelangen wechselseitigen Blockaden der eigentliche Handel nun erst beginnt, wurde gestern beim spektakulären Besuch Tayyip Erdogans, des Parteichefs der neuen türkischen Regierungspartei AKP, in Athen deutlich. Zwar befürwortet er wie der griechische Ministerpräsident Kostas Simitis den UN-Plan als Verhandlungsgrundlage. Doch Erdogan hat klare Vorbehalte gegenüber dem Zeitplan: „Bis zum 12. Dezember halte ich eine Lösung für kaum machbar.“ Der Zeitpunkt, zu dem der UN-Plan vorgelegt wurde, sei „sehr unglücklich“, sagte Erdogan. Die neue türkische Regierung könne frühestens Ende des Monats vereidigt werden, zudem sei Rauf Denktasch, Präsident der Inseltürken, immer noch krank, sodass er bislang nicht mit ihm reden konnte. Trotzdem solle nun mit Hochdruck verhandelt werden, denn Politik sei schließlich dafür da, Lösungen zu suchen.

Hintergrund des Dissenses um den Zeitplan ist der EU-Gipfel am 12./13. Dezember in Kopenhagen. Während Simitis vor der Presse betonte, dass die Zypern-Frage und ein Termin der EU für den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nichts miteinander zu tun hätten, ließ Erdogan durchblicken, dass ein Termin für Verhandlungen mit der Türkei auf dem EU-Gipfel für eine Zypern-Lösung sehr hilfreich sei.

Drei Wochen bleibt nach dem Zeitplan der Vereinten Nationen Zeit zur Zypern-Lösung. Verzögern sich die Gespräche, drohen nach früherem Muster endlose Verhandlungen über jedes Komma. Über einen Punkt immerhin dürfen die Zyprioten auf jeden Fall entscheiden: das Lametta. Entwurf einer neuen Staatsflagge wie das Erdichten der Nationalhymne hat die UNO großzügig den Insulanern überlassen. Bei Gründung der Republik Zypern im Jahre 1960 konnten die sich nicht einmal auf eine Hymne einigen.

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