: Das Elend des Krieges
Vor 55 Jahren starb der Lyriker und Dramatiker Wolfgang Borchert im Alter von nur 26 Jahren – einen Tag vor der Uraufführung von „Draußen vor der Tür“ in den Hamburger Kammerspielen
von BERNHARD RÖHL
Am 20. Mai 1921 kam Wolfgang Borchert auf die Welt, im dritten Stock des Eckhauses in der Tarpenbekstraße 82 in Eppendorf. Seine Mutter war die Autorin Hertha Borchert, sein Vater Fritz unterrichtete als Volksschullehrer. Im Jahre 1935 zog die Familie nach Winterhude. Mit 26 Jahrenwar das Leben des berühmten Dramatikers schon vorbei. Borchert starb vorgestern vor 55 Jahren – einen Tag vor der Uraufführung seines großen Kriegsheimkehrer-Dramas „Draußen vor der Tür“.
Bereits in den letzten Schuljahren hatte Borchert begonnen, Texte zu schreiben. Neben der Berufsausbildung als Buchhändler ließ er sich von Helmut Gmelin Schauspielunterricht geben. Da der junge Mann auch Verse schrieb, spielte ein Denunziant der Gestapo „ein revolutionäres Gedicht“ von Borchert zu, wie seine Mutter rückblickend 1948 erinnerte. Er kam kurz in Haft und wurde mit einem „Verweis“ entlassen, die Gestapo behielt den jungen Mann aber weiterhin im Auge.
Im März 1941 bestand Borchert die Schauspielprüfung, das Theater in Lüneburg engagierte ihn. Kurz vor dem Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion am 6. Juni 1941 erhielt er seinen Einberufungsbefehl. Er landete in einer Kaserne in Weimar, um für den Krieg vorbereitet zu werden. Zufällig sah er dort, wie SS-Leute einen verelendeten Häftlingszug den Ettersberg hinauf ins KZ Buchenwald trieben. Borchert empörte sich über dieses Erlebnis, das er in einem Brief an Freunde in Hamburg mitteilte. Die Zensurstelle las das Schreiben, unverzüglich folgte ein Haftbefehl gegen den kritischen Soldaten.
In dieser Zeit befand sich Borchert jedoch schon in der Sowjetunion an der Ostfront. Im Februar 1942 erlitt er eine schwere Kriegsverletzung vor Moskau. Im Lazarett verhaftet, verurteilte ihn ein Militärgericht in Nürnberg zu acht Monaten Gefängnis mit folgender „Frontbewährung“.
Ende 1942/43 landete Borchert wieder als Soldat in der Sowjetunion, im Februar 1943 befiel ihn das Fleckfieber. Er wurde im Seuchenlazarett Smolensk behandelt und von dort als „nicht mehr kriegsverwendungsfähig“ in die Garnison nach Jena geschickt.
In der Kaserne äußerte er sich weiterhin kritisch über den Verlauf des Krieges, zitierte „staatsfeindliche“ Witze und wurde erneut denunziert. Mit der Folge, dass er eingekerkert wurde. Der Schriftsteller Erich Kuby berichtete vor einigen Jahren, er habe während seiner Zeit als Soldat 2000 Männer und Frauen kennen gelernt, aber nur zwei Menschen seien davon vertrauenswürdig gewesen und nicht bereit, ihn sofort wegen regimekritischer Äußerungen anzuzeigen.
Borchert, gesundheitlich angegriffen, erhielt eine Gefängnisstrafe von neun Monaten wegen „Angriffs gegen Partei, Staat und Wehrmacht“, es folgte wiederum „Frontbewährung“ bis zum Kriegsende. Das erlebte er in Frankfurt am Main. Es gelang ihm, sich nach Hamburg durchzuschlagen, das in Trümmern lag.
Sein alter Schauspiellehrer Helmut Gmelin, der später in seinem Wohnhaus das „Theater im Zimmer“ gründete, holte Wolfgang Borchert im Sommer 1945 als Regieassistent an das Deutsche Schauspielhaus. Er trat auch als Kabarettist in Hamburg auf, war Mitbegründer der „Komödie“ in Altona. Er begann, in Kurzgeschichten seine Kriegserlebnisse zu schildern.
Im Januar 1947 verfasste er im Hause Carl-Cohn-Straße 80 innerhalb von wenigen Tagen das Bühnenstück „Draußen vor der Tür“ um den Heimkehrer Beckmann, der sich in der Elbe ertränken will. „Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“, schrieb er selbst über sein Werk. Womit er sich ziemlich irren sollte.
Der Nordwestdeutsche Rundfunk NWDR in Hamburg strahlte am 13. Februar 1947 das Werk als Hörspiel aus, inszeniert von Wolfgang Liebeneiner. Die Hamburger Kammerspiele unter der Leitung von Ida Ehre in der Hartungstraße 9-11 entschlossen sich 1947, das Stück als Uraufführung herauszubringen. Wiederum Liebeneiner übernahm die Regie. Die Premiere fand am 21. November 1947 statt – einen Tag vorher war Borchert in Basel an den Folgen einer Lebererkrankung gestorben.
Der Leiter der Staatlichen Pressestelle, Erich Lüth, erinnert sich an die Aufführung: „Es hätte kein sensibleres Publikum geben können, doch auch kein aufgeschlosseneres und dankbareres als dieses. Hans Quest als Beckmann wuchs in Borcherts Drama über sich selbst hinaus, zu erschütternder und einsamer Größe, den Autor und Freund ehrend, der in den Tagen der Uraufführung einem furchtbaren Kriegsleiden erlag.“
Ernst Rowohlt veröffentlichte das Theaterstück in Buchform, es wurde in über 30 Sprachen übersetzt. Wolfgang Borchert und seine Mutter liegen heute auf dem Ohlsdorfer Friedhof begraben. Sein Grab trägt die Bezeichnung AC5.
lda Ehre blieb Wolfgang Borchert treu. Zur Hochzeit der Friedensbewegung trat die Chefin der Kammerspiele bei einer Veranstaltung im Millerntorstadion auf und trug unter massivem Beifall sein berühmtes Anti-Kriegs-Gedicht vor: Sag Nein.
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