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Offener Brief an Rudolf HickelEx-Senator Franke: Bremen verröchelt – Rettung nirgends in Sicht

Horst-Werner Franke, der sich von Freunden gern „Thomas“ nennen lässt, war eine kleine Ewigkeit lang Senator für Bildung, Wissenschaft und Kultur – 14 Jahre lang. Reinhard Hoffmann, heute Chef der Senatskanzlei, war „sein“ Staatsrat. Seit seinem Rücktritt im Dezember 1989 hat Franke zahllose Gastkommentare für die Bremer taz geschrieben. Sein Thema immer wieder: Die absehbar scheiternden Versuche, die Staatsfinanzen zu sanieren. Während das politische Establishment sich daran klammert, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, fordert der abtrünnige Senator Franke (Foto), der bitteren Wahrheit ins Auge zu sehen. Unseren Bericht über den Vortrag des Wirtschaftswissenschaftlers Rudolf Hickel (taz 18.11.) nahm Franke zum Anlass für einen Offenen Brief.

Lieber Rudolf,

große Geduld und große Sorge bringen Dich immer wieder dazu, öffentlich von Senat und Bürgerschaft eine andere, radikal andere Politik für Bremen zu fordern. Und die gute alte Tante taz versucht unermüdlich, das träge politische Bremen wachzurütteln. Ihr Wackeren, auch Euch wird am Ende die Resignation überwinden, und jene Lähme wird über Euch kommen, die inzwischen bremisches Kennzeichen geworden ist.

Die Fakten sind seit einem Dutzend Jahre bekannt. Schon weiland Finanzsenator Kröning hat auflisten lassen, dass Bremen nur mit Wundern der finanziellen Katastrophe entkommen kann: Rasanter Bevölkerungsanstieg, exorbitantes Wirtschaftswachstum, das um ein Mehrfaches den Bundesdurchschnitt übertreffen muss, drastisches Senken der Zinssteuerquote, das waren und sind die Bedingungen für Bremens Sanierung. Geschehen sollte alles innerhalb des Sanierungszeitraums, den der Bund und die Länder gezwungenermaßen und darum höchst widerwillig bis 2004 finanzieren.

Es hat von Anfang an die Kassandras gegeben, die Bremens Erlösung durch Wunder bezweifelt haben. In ihrem Leib- und Magenblatt, der taz bremen, ist immer wieder lang und breit über den wunderlosen Weg Bremens in den Abgrund gejammert worden. Der überregional hoch geschätzte Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel bleibt aber wie alle anderen an der Weser unbeachtet. Auch Deine Rufe, lieber Rudolf, müssen matter werden und schließlich verstummen.

Gigantischer denn je

Jahrelang haben Senat und Regierungsfraktionen den Wählern Bremens den vermeintlich erfolgreichen Weg aus der Schuldenfalle in beredten Worten geschildert. Wie würde wohl Freund Perschau dastehen, wenn ihn ein Untersuchungsausschuss mit diesen seinen politischen Versprechungen konfrontierte. Und wie es sich für einen loyalen Beamten gehört, erklärt dieser Tage Staatsrat Dannemann sich ebenfalls für untersuchungsausschussreif, wenn er seinem Herrn Perschau vollmundig unterstellt, in der Vergangenheit immer das Richtige in Sachen Sanierung gesagt zu haben. Vielleicht kommen die Abgeordneten noch auf die Idee des Untersuchungsausschusses, wenn sie in die ausweglose Enge getrieben einen Schuldigen suchen.

Was wird 2004 zu besichtigen sein? Am Ende des Sanierungszeitraums sind die Schulden Bremens gigantischer als jemals zuvor. Wenigstens ein gutes Dutzend Milliarden Euro kommt alles in allem zusammen. Wahnsinnigerweise hat die Sanierung fast zur Verdoppelung der Schulden geführt. Bremens Schulden haben die Größe, die Eichel jetzt bräuchte, um die Bundesrepublik vor der Katastrophe zu bewahren. Veritable Schwellenländer werden wegen solcher Summen vom IWF unter Kuratel gestellt.

Von wegen neue Milliarden

Der Kanzler soll der ertrinkenden Hansestadt 2004 den Rettungsring zuwerfen. Angeblich hat er das versprochen. Jener ominöse Brief, der mit allgemeinen Redewendungen Bremen tröstet, kann nur von politischen Naivlingen als neuerliches Milliardenversprechen gewertet werden. Die Finanzsituation der Bundesrepublik wird 2004 Hans Eichel, so er dann noch Finanzminister ist, nicht zu neuen Milliarden für Bremen veranlassen. Die weitere Verelendung der öffentlichen Einrichtungen Bremens ist vorgezeichnet.

Weil nirgends Rettung in Sicht ist, die großen Trostworte der Politik aber allmählich im Hals stecken bleiben, redet jetzt keiner mehr zur Sache. Interessanterweise nimmt in seinem jüngsten offenen Brief Finanzstaatsrat Dannemann das Wort von der geglückten Sanierung Bremens nicht mehr in den Mund. Ganz im Gegenteil, der oberste Finanzfachbeamte Bremens räumt inzwischen öffentlich ein, dass die Sanierung gescheitert sei. So ist sein Brief an die Grünen zu verstehen.

Und weil es angesichts der Großen Koalition auch keine massenwirksame Opposition gibt, stört keiner das Schweigen. Vor einer Wahl und nach der Wahl werden in den Parteien Posten vergeben, da heißt es friedlich sein. Die SPD Bremens ist genauso wie die CDU als Partei schon lange domestiziert und zum gutartigen Haustier für das Rathaus verkommen. Wie sonst ist das Schweigen auf Parteitagen zu erklären.

Weil das Bundesland nicht mehr funktioniert, aber auch nicht aufhören kann, hat sich die politische Elite Bremens entschlossen, die Sache auszusitzen, was auch einen Sinn machen kann. Schließlich wird Bremen rein dinglich gesehen bleiben und wenn nichts mehr geht, muss es doch weiter gehen. Die bremische Politik verlässt sich darauf, dass am Ende eine Lösung kommen muss. Freilich wäre da noch der Hoffmann-Plan, der auf der Vernunft aller Beteiligten aufbaut. Er ist einfach zu begreifen: Wenn Bremen verröchelt, stirbt der niedersächsische Speckgürtel mit, wird das jetzt bis auf das Zentrum Bremen blühende Nordwestniedersachsen zur Notstandsregion. Wäre Bremen niedersächsisch, drängte die Landesregierung längst auf die Bildung einer Region nach dem Vorbild des Großraums Hannover. Weil es aber ist, wie es ist, bleibt Gabriel passiv und der Oberkreisdirektor von Diepholz Verhandlungspartner von Bremen. Die Ergebnisse sind danach. Nein, der einzig kreative Kopf im Rathaus bleibt folgenlos.

Es wird ein flauer Wahlkampf werden, der letzte von Henning Scherf, dessen Strahlkraft sicherlich noch einmal ausreicht, die SPD über die Hürde zu heben. Beim nächsten Mal wird Willi Lemke eine gänzlich veränderte Welt vorfinden, allerdings keine veränderte SPD. Was, lieber Rudolf, wirst Du Hennings Nachfolger ins Stammbuch schreiben?

Wie immer voller Bewunderung

Dein Thomas Franke

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