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Karriere ja – aber später

Wegen des beruflichen Drucks schieben viele Frauen das Kinderkriegen auf ein zu enges Zeitfenster zwischen dem 35. und 40. Lebensjahr – es ist notwendig, das zu entzerren

Schon jetzt muss die Debatte um Kinder mehr umfassen als nur den Streit um Ganztagsbetreuung

Das Buch hat offenbar einen Nerv getroffen. Jedenfalls ging ein Aufschrei durch die US-amerikanische Öffentlichkeit, als Sylvia Ann Hewlett vor einigen Monaten ihr Buch „Creating a Life – Professional Women and the Quest for Children“ publizierte. Hewlett hatte seitenlang und mit vielen Fallbeispielen beklagt, dass viele erfolgreiche Frauen, indem sie den Beruf obenan stellten, das Kinderkriegen aufschoben, bis es zu spät war, und dies später bedauerten. Frauen, so Hewletts These, könnten eben nicht einfach die männlichen Karrieremuster kopieren. Das widerspreche ihrer Biologie, die sich am Ende räche.

Der Protest kam sofort. Von einem „Rückschlag“ für die Frauenbewegung war die Rede. Feministinnen kritisierten, dass die als konservativ bekannte Hewlett erst recht Torschlusspanik unter den Frauen erzeugte, indem sie ihnen empfahl, sich früher im Leben für Ehemann und Kinder zu entscheiden und so nicht das Risiko einzugehen, am Ende gegen die biologische Uhr zu verlieren. Die Autorin Garance Franke-Ruta referierte im „American Prospect online“, dass auch bei Männern erwiesen sei, dass die Zeugungsfähigkeit des Spermas abnehme, wenn sie sich dem 40. Lebensjahr näherten. Aus biologischen Gründen, riet Franke-Ruta bissig, müssten sich ältere Single-Frauen daher möglichst jüngere Partner suchen, um ihre Chancen auf eine Schwangerschaft zu erhöhen.

Der erbitterte Streit zeigt, wie viel Verletzungspotenzial in diesen Fragen steckt. Denn letztlich geht es dabei um die Frage, wie viel Freiheit Frauen und auch Männer in ihrer Lebensgestaltung heute tatsächlich haben, wenn es ums Kinderkriegen geht – und wo sie am Ende nur wieder neuen Zwängen unterliegen.

Die US-amerikanische Diskussion hat dabei eine Vielschichtigkeit, die auch für die deutsche politische Debatte über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wichtig ist. In Deutschland konzentriert sich der politische Streit gegenwärtig darauf, vor allem mehr Ganztagsbetreuungsplätze für Kinder zu schaffen. In den USA aber ist Ganztagsbetreuung längst verbreitet. Dass dort das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer noch so wichtig ist, zeigt, dass es um die Fremdbetreuung allein nicht gehen kann.

Hinter der Kinderfrage steckt mehr als nur das Problem, wo man die Kleinen möglichst viele Stunden am Tag irgendwo unterbringt. Es geht vielmehr darum, wie insbesondere Frauen heute ihr Berufsleben planen und ob sie die Freiheit haben, dabei nicht nur zu bestimmten, „beruflich passenden“ Zeitpunkten Kinder kriegen zu dürfen.

Das übliche Jobmuster im akademischen Milieu sieht vor, dass die Frau ihre Karriere möglichst schon vor der Geburt des ersten Kindes zumindest begonnen hat. Dieses Muster erzeugt einen hohen biografischen Druck, denn die wichtigen Entscheidungen im Leben verlagern sich damit auf ein relativ kleines Zeitfenster. Und wenn Frauen den Berufseinstieg geschafft haben und sich der Mitte 30 nähern, kann es vorkommen, dass sie gerade eine Trennung nach einer langjährigen Beziehung hinter sich haben und sich eben nicht in einer idealen Lebenssituation für eine Familiengründung befinden.

Das Kinderkriegen nur an einen bestimmten Punkt in die eigene Erwerbsbiografie einzuplanen, ist also riskant. Umgekehrt wäre es sicherer: Wenn die Bindung zum Partner stimmt, sollte es zu jeder Zeit möglich sein, ein Kind zu bekommen, ohne beruflich vollständig abgemeiert zu werden. Das Kind muss nicht mit dem Beruf, der Beruf muss mit dem Kinderkriegen vereinbart werden. Es ist das Verdienst von Hewlett, diesen Perspektivenwechsel wenigstens anzusprechen.

Frauen und Männer müssen daher auch jenseits der 40 noch befriedigende Karrieremöglichkeiten vorfinden – doch es sollte auch möglich sein, vor dem 30. Lebensjahr Kinder zu bekommen und sich ihnen eine Zeit lang widmen zu können, ohne das lebenslange berufliche Aus befürchten zu müssen.

Um Entlastung in die Kinderfrage zu bringen, ist daher dreierlei notwendig: mehr Kitaplätze und Ganztagsschulen, mehr Teilzeitjobs, aber auch mehr Möglichkeiten, erst jenseits des 35. oder 40. Lebensjahrs beruflich voll einzusteigen. Die Ganztagsbetreuung allein löst das Problem nicht, denn nicht jeder will sein Kind möglichst früh und möglichst umfassend zeitweise entsorgen.

Eine umfassende Fremdbetreuung ist auch von der Ökonomie der elterlichen Lebenszeit her im Grunde unsinnig: Die Zeit mit einem Kind umfasst bei einer Lebenserwartung von etwa 80 Jahren vielleicht nur ein Fünftel der Lebenszeit der Eltern. Sie ist kurz – und sie hat eine ganz andere Qualität als die Zeit im Job. Wer will, soll daher auch diese besondere Familienzeit mit ihrer Verlangsamung und ihren Wiederholungen erfahren und eine Zeit lang beruflich aussteigen oder kürzer treten können. Die wichtigste Investition in die Beziehung zu Kindern ist die gemeinsam verbrachte Zeit, die Bindungen und gemeinsame Erinnerungen schafft.

In einer Gesellschaft der Langlebigen müsste es daher Phasenmodelle für „gestreckte Biografien“ geben, in denen die Elternzeit als biografische Phase mehr respektiert wird. Die Elternzeit mit den Kindern muss – ähnlich wie die Kindheit – im gesellschaftlichen Diskurs höher bewertet werden.

Wie aber ließe sich dazu politisch etwas beisteuern? Sicher könnte man darüber nachdenken, die Einstellung von Frauen und Männern, die eine Familienphase hinter sich haben, mit Zuschüssen an die Arbeitgeber zu honorieren. Solche Förderung ist allerdings gefährlich: Eltern werden damit zum Problemfall, der subventioniert werden muss. Mütter kennen diesen karitativen Touch, dies Gefühl der Demütigung, wenn sie als Wiedereingliederungsfall in irgendeinem Arbeitsamtkurs sitzen.

Es geht darum, wie viel Freiheit Frauen – und Männer – in ihrer Lebensgestaltungtatsächlich haben

Positiver sind neue Rollenvorbilder, etwa Frauen mit „späten Karrieren“. Die SPD-Familienministerin und Großmutter Renate Schmidt, die im Alter von 58 Jahren einen Höhepunkt ihrer Karriere erreichte, ist dafür ein Beispiel.

Aber vielleicht wird die Frage einer neuen „Ökonomie der Lebenszeiten“ gar nicht politisch, sondern gewissermaßen ökonomisch beantwortet. Knappheit erhöht bekanntlich den Wert eines Gutes. Wenn das Kinderkriegen und Kinderhaben seltener wird in Deutschland, steigt auch dessen gesellschaftlicher Wert. Es ist wie bei den Ehen: Je höher die Scheidungsraten, desto höher das gesellschaftliche Ansehen funktionierender Langzeitbindungen.

Schon jetzt muss jedoch die Debatte um die Kinder mehr umfassen als nur den Streit um die Ganztagsbetreuung. Sie muss erweitert werden um die biografische Dimension der Mütter und Väter – also um die Forderung, dass die zeitlichen und nervlichen Investitionen, die man in Kinder steckt, am Ende eben doch nicht das ganze Leben einschränken, sondern tatsächlich nur die Familienphase bestimmen.

BARBARA DRIBBUSCH

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