: Herbert an die Macht
Am Strand dieses Lebens ist nichts vergebens: Herbert Grönemeyer singt, tanzt und strahlt auf seinem Konzert in Berlin. Die schuldengeplagten Hauptstädter jaulen begeistert auf, alle sind glücklich
von CHRISTIANE RÖSINGER
Montagabend in Berlin.
Vermummte Gestalten lauern im Nebel, halten bettelnd Pappschilder vor sich her, Uniformierte patrouillieren. Frauen in Pumps mit dicken Winterjacken lungern auf den Gehwegen herum und passen vorbeieilende Fußgänger ab, aber es hat alles keinen Zweck; es gibt keine Karten mehr, das Grönemeyer-Konzert ist seit Wochen ausverkauft.
In der Max-Schmeling-Halle hingegen herrscht beste Stimmung, das Publikum unterhält sich selbst mit La-Ola-Spielen, lässt die beliebte Körperwelle vom Parkett aus mehrmals über die Ränge rundlaufen, klatscht begeistert zum heiteren Kaufhaus-Techno mit. Dann geht das Licht aus, Raunen, Klatschen, Hälserecken, Entzückensschreie – im grellen Laserlicht sieht man den Schatten eines Manns am Keyboard, aber das ist er nicht, der mit dem Mikrofon ist es.
So oft hat man ihn im Fernsehen gesehen in letzter Zeit, und jetzt steht er da, in echt, und singt ein Lied, wahrscheinlich ein neues, man versteht die Worte kaum. Die Single „Mensch“ kam am 2. September raus, gerade als sich andeutete, dass der Sommer bald endgültig vorbei sein würde. Da kam dieses melancholische Lied mit dem seltsamen Video, dem lieben Eisbären und dem einsamen Popstar, der mit sich allein Karaoke am Strand singt.
Und kaum mochte man sich eingestehen, „Mensch“ ein wenig gut zu finden, da outeten sich andere schon, plötzlich gefiel es jedem, sogar den strengen Minimalelektronikern und berufsverbitterten Musikjournalisten. Und dann sprach der Mensch Grönemeyer von überall zu uns, und was er sagte, war gar nicht so schlimm.
Bei Bio sprach er über Verlust und Trauer, im Radio über Berlin und London, bei MTV über den Musikgeschmack seiner Kinder und die Copy-Kills-Music-Lüge der Musikindustrie, und selbst bei „Wetten, dass …?“ machte er alles richtig, sang „Der Weg“ und ging wieder, setzte sich nicht aufs Sofa.
Fortschleichend begann man ihn zu mögen. Nur: „Man muss verzeihen können“, lautet zwar ein altes Sprichwort, aber kann das auch für Lieder gelten wie: „Kinder an die Macht“, „Was soll das?“ „Flugzeuge im Bauch“, „Deine Liebe klebt“, „Alkohol“? Das ist – „Mensch“ hin oder her – auch immer noch eine bedenkenswerte Frage.
Jedenfalls: Grönemeyer hat zwar seine Musik modernisiert, aber textlich liegt bei näherer Betrachtung auch bei „Mensch“ einiges im Argen: „Am Strand des Lebens ist nichts vergebens“, „Sonnenzeit ohne Plan ohne Geleit“: Originelle Metapher waren nie sein Ding, schiefe Bilder, geschwollen – gewollte Vergleiche und ein stereotypes Romantikverständnis schon eher.
Sein Publikum liebt ihn aber nun gerade wegen seiner anrührenden, leicht zugänglichen Poesie. Die aktuellen Hits kommen recht früh im Programm und werden dankbar aufgenommen. Der Keyboarder orgelt, die Streicher streichen, Schlagzeuger und Perkussionist tun ihre Arbeit, Herbert singt, tanzt und strahlt.
Bei den rockigen Nummern berserkern die Gitarristen über die Bühne. In altmodischer Gitarrenverzückung führen sie längst ausgestorben geglaubte rockistische Unterkörper- und Handbewegungen aus. Herbert hingegen taumelt und hampelt auf bewährte Art hin und her, wirkt dabei dabei weniger überlegt als in den Talkshows, aber rührend und selbstbewusst zugleich.
In „Neuland“ singt er, dass er die Menschen mag, aber nicht den Staat. „Es ist Herbst und wir tun uns Leid“, sagt er und leitet über zu: „Lache, wenn es nicht zum Weinen reicht.“ Sein Gesangsstil ist gelinde ausgedrückt eindringlicher als jemals zuvor, bei „Männer“ flippt er auf der ersten Silbe „Mä“ minutenlang aus.
Das Publikum hört die alten Stücke noch lieber als die neuen, nach mehrmaligem Feuerzeugalarm ist bei „Bochum“ ein erster Höhepunkt im Mitsingen erreicht. „Bochum – du bist keine Weltstadt … So wie Berlin!“, setzt Grönemeyer hinterher und die schuldengedemütigten Hauptstädter jauchzen begeistert auf. So geht es immer weiter, „Das Beste von gestern bis Mensch“ ist ja das Tourmotto. In den Gängen oben tanzt ein Pärchen Walzer, die Garderobenfrauen klopfen den Takt auf dem Tresen mit, alle sind glücklich.
„Es war wunderschön“, sagt der Mann da unten und immer wieder: „Danke, danke schön.“
Das war Herbert Grönemeyer, und es ist auch nach dem Konzert noch okay, ihn ein bisschen zu mögen. Schließlich ist er unter den großen deutschen Popstars der einzig halbwegs Vorzeigbare. Wahrscheinlich müssen wir, trotz allem, froh sein, dass wir ihn haben.
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