: Die Khaki-Dschihad-Connection
Pakistanische Behörden lassen mehrere Islamistenführer frei. Kritik der Amerikaner an ihren neuen Verbündeten im Krieg gegen den Terror ist jedoch kaum zu hören
KARATSCHI taz ■ Die jüngsten Anschläge von propakistanischen Dschihadisten in Kaschmir – der Anschlag auf eine Polizeikaserne in Srinagar und der Sturm auf zwei Hindu-Tempel in Jammu gegen Ende der vergangenen Woche – lassen die angeblich pro-westliche Antiterrorpolitik der pakistanischen Regierung in neuem Licht erscheinen.
In den drei Wochen zuvor waren kurz nacheinander die Anführer der beiden gefährlichsten Terrororganisationen des Landes wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Auf den ersten Blick lief alles nach dem Buchstaben des Gesetzes: Gerichte weigerten sich, die in Folge der Anschläge vom 11. September 2001 durch Präsident Pervez Musharraf verhängten Hausarreste und Haftstrafen zu verlängern.
Als Erster wurde am 30. Oktober Maulana Azam Tariq entlassen – aus einer Polizeikaserne in Rawalpindi, wo auch andere politische Gefangene festgehalten werden. Tariq ging nicht nur nach Hause. Er wurde triumphal von einer Limousine abgeholt – begleitet von einer Polizeieskorte und seinen eigenen bewaffneten Leibwächtern. Zur Erinnerung: Tariqs „Soldaten der Gefährten des Propheten“ (SSP) sind als Organisation in Pakistan verboten. Die SSP gilt als Gewalttätigste der pakistanischen Dschihad-Organisationen. Ihr werden 400 Morde allein in den vergangenen 12 Monaten angelastet. Sie steht auch auf der Terroristenliste der US-Regierung.
Wenige Tage nach seiner Haftentlassung fuhr der asketisch wirkende Geistliche mit der strengen Metallrahmenbrille ins Parlament von Islamabad, in das er während seiner Haft als „Unabhängiger“ gewählt worden war. Die Volksvertreter durften einer Antrittsrede lauschen, in der er die Errichtung einer islamischen Gesellschaft auf der Grundlage der Scharia forderte.
Vor einer Woche trat Hafiz Muhammad Saeed, Chef der Organisation „Lashkar-e-Taiba“ (Heer der Reinen), den Weg in die Freiheit an. Unmittelbar nach Aufhebung seines Hausarrests in Lahore verkündete er der Presse, er werde den Dschihad gegen die indische Besetzung Kaschmirs fortsetzen. Seine Organisation soll denn auch prompt die Verantwortung für die neueste Anschlagsserie in Kaschmir übernommen haben.
Da genug Beweise für die Verwicklung beider Organisationen in Terroraktionen vorliegen, müsste sich Musharraf nun eigentlich bohrenden Fragen gegenüber sehen. Doch selbst Washington äußert sich vorsichtig. „Wir vernehmen, dass Saeed freigelassen wurde, nachdem ein Gericht feststellte, er werde unrechtmäßig festgehalten“, so ein Sprecher des State Departments. Die anschließende Mahnung wird kaum hörbar ausgesprochen: „Die pakistanischen Behörden, wie ihre Kollegen rund um die Welt, müssen dafür sorgen, dass Terroristen gerecht bestraft werden.“
Washington will den Mann nicht vor den Kopf stoßen, der den wichtigsten Frontstaat im „Krieg gegen den Terror“ regiert. Dass die USA dabei die Augen vor einem strukturellen Problem verschließen, unterstrich die International Crisis Group schon im März in einem Bericht. Darin ist von einer „symbiotischen Beziehung zwischen Pakistans Militär, den Sicherheitsdiensten und den extremistischen Gruppen“ die Rede.
In Pakistan läuft das unter der Bezeichnung „Khaki-Dschihad-Connection“. Schon steht die nächste Freilassung an, die von Maulana Sufi Muhammad. Der Anführer einer Taliban-ähnlichen Bewegung in den paschtunischen Siedlungsgebieten entlang der Grenze zu Afghanistan soll freikommen, wenn dort nach ihrem Wahlsieg vom Oktober die islamistische Sechs-Parteien-Allianz MMA die Provinzregierung übernimmt. Das wird voraussichtlich noch in den nächsten Tagen passieren. Sufi hielt 1994 mit einem wochenlangen Aufstand schon Pakistans Regierung in Atem, als außerhalb Afghanistans noch niemand den Namen Mullah Omar gehört hatte. JAN HELLER
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