: Österreichs FPÖ im totalen Chaos
Soeben ausgeschlossen, werden die parteiinternen Kritiker von Jörg Haider begnadigt. Die Landesparteiverbände sind entschlossen, die Ausschlussverfahren durchzuziehen
WIEN taz ■ In der FPÖ ist das totale Chaos ausgebrochen. Während der designierte Parteichef Herbert Haupt am Mittwoch sämtliche Parteiausschlüsse zurücknahm, wollen die Landesparteien weiter säubern. Überlegungen über eine Neugründung oder Spaltung der Partei werden in den Medien ventiliert.
Ein zerknirschter Herbert Haupt trat Mittwochnachmittag vor die Presse. Man dürfe die Fehler nicht immer bei anderen suchen. Die Rausschmisse prominenter Mitglieder seien null und nichtig. Auch Finanzminister Karl-Heinz Grasser, der sich im Wahlkampf von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) kooptieren ließ – „Verräter“ war noch eines der sanfteren Epitheta, mit denen Jörg Haider ihn belegt hatte – darf nicht nur bleiben: Auch seine Nominierung als Finanzminister stelle für eine FPÖ-Regierungsbeteiligung kein Hindernis mehr dar. Die Bitte „Hunderter“ Parteifreunde habe ihn überzeugt. Im Übrigen wolle Haupt auch Ex-Parteichefin Susanne Riess-Passer überreden, für FPÖ und Regierung aktiv zu bleiben. Ihrer Kandidatur beim Parteitag am 8. Dezember stehe nichts entgegen.
Was in der FPÖ jetzt gilt, fragen sich nicht nur ratlose Journalisten. Auch in Basis und Mittelbau herrscht Verwirrung. Der Papierindustrielle Thomas Prinzhorn, Vize-Parteiobmann, will die Säuberungen fortsetzen. Niederösterreichs FPÖ-Chef Ernest Windholz, der mit dem NS-Spruch „Unsere Ehre heißt Treue“ den Amtseid abgelegt hatte, nahm „die Entscheidung des Parteivorsitzenden zur Kenntnis.“ Doch die FPÖ Niederösterreich habe ihre eigenen Statuten. Er sehe keinen Grund, die eingeleiteten Ausschlussverfahren zu stoppen.
Auch die begnadigten Ausgeschlossenen gehen in die Offensive. Helmut Haigermoser vom Ring Freiheitlicher Wirtschaftstreibender will nicht begnadigt werden (wird er lautdem Salzburger FPÖ-Chef Schnell auch nicht). Doch will er wissen, was man ihm konkret vorwirft. In Zeitungen drohen Funktionäre mit der Abspaltung eines rechtsliberalen Flügels. 6 der 19 Abgeordneten wären dabei. Sie hätten Fraktionsstärke. Als Alternative wird das endgültige Ausscheiden Haiders aus der Politik gefordert. Das will der deutschnationale Kern der FPÖ nicht.
Da mit der FPÖ eine Neuauflage der Koalition wenig ersprießlich scheint, mehren sich in der ÖVP Stimmen für eine Allianz mit den Grünen. Deren Parteichef Alexander van der Bellen hatte erklärt, seine Partei wolle in der Opposition bleiben. Inzwischen treffen aber haufenweise Mails und Briefe von Grünen-Wählern ein, die dem Wiener Grünen-Chef Christoph Chorherr zustimmen. Er meint, diese Gelegenheit zum Mitgestalten sollte man nicht voreilig ausschließen. RALF LEONHARD
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