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Sind drei Opern eine zu viel?

Drei Opern hat Berlin. Das sind sieben zu viel, sagt Finanzsenator Sarrazin. Das ist keine zu wenig, sagen viele Kulturpolitiker, und das schon seit zwölf Jahren. In den nächsten Wochen muss Kultursenator Flierl sich entscheiden und das Konzept für eine Opernreform vorlegen. Wenn er die Oper liebt, muss er eines der drei Berliner Häuser schließen, sagt Ralph Bollmann. Rolf Lautenschläger hält dagegen: Wer der Oper in Berlin wieder eine Zukunft geben will, muss alle Bühnen erhalten

Ja

von RALPH BOLLMANN

Nach zwölf Jahren Einheit haben Berlins Kulturpolitiker noch immer nichts dazugelernt. Mit der Inspiration einer tibetanischen Gebetsmühle wiederholen sie den stets gleichen Satz, die Stadt benötige unbedingt drei Opernhäuser. Keiner sagt, warum zwei nicht genügen, und niemand erklärt, wieso es nicht eigentlich vier sein müssten. Trotzdem knüpft PDS-Kultursenator Thomas Flierl seine politische Zukunft an diese unbewiesene Behauptung. Auf eine mögliche Opernschließung angesprochen, beteuert er stets: „Mit mir wäre so etwas nicht zu machen.“

Unter diesen Umständen wäre es für Berlins Opernfreunde besser, der Mann träte sofort zurück. An der fantasielosen Verteidigung des Status quo haben sich seit 1990 schon sechs Senatoren versucht. Allesamt litten sie unter einer Krankheit, die für Berlins Lokalpolitiker symptomatisch ist: Sie waren unfähig, klare Prioritäten zu setzen. Jahrelang haben sie allen alles versprochen, davon bestenfalls die Hälfte gehalten – und damit alles nur schlimmer gemacht. Heute gibt die Stadt so viel Geld für die Oper aus wie keine andere auf der Welt, doch sie bekommt dafür bestenfalls Mittelmaß.

Zu allen Zeiten war der Mut zur Lücke die Voraussetzung jeder erfolgreichen Kulturpolitik. Wie hat es der legendäre Meininger Theaterherzog Georg II. geschafft, seine Schauspieltruppe und das Konzertorchester auf den Gipfel des Erfolgs zu führen? Indem er nach seinem Regierungsantritt 1866 als Erstes die Opernsparte abschaffte. Und warum ist es den Bochumer Stadtvätern gelungen, mitten im Ruhrpott eines der besten deutschen Schauspielhäuser zu etablieren? Weil Bochum als eine von wenigen deutschen Großstädte auf ein Opernhaus verzichtet.

Nur Berlin, das ärmste deutsche Bundesland, will alles auf einmal: drei Opernhäuser, fünf Staatstheater, acht Sinfonieorchester. Bei den Orchestern verfügt die Stadt, dank klarer Prioritäten, mit den Berliner Philharmonikern immerhin über ein Ensemble der Weltklasse. Bei den Schauspielhäusern war die Schließung des Schiller-Theaters ein Befreiungsschlag, von dem die verbliebenen Ensembles noch immer profitieren. Nur bei den Opern gibt es drei Häuser mit dem gleichen Profil und einem annähernd gleichen Etat.

Das Ergebnis sind drei Opernruinen. Die repräsentative Staatsoper am Prachtboulevard Unter den Linden bietet das verlässlichste musikalische Niveau, und auch bei den Inszenierungen muss das Publikum keine größeren Peinlichkeiten fürchten. Doch für die fällige Sanierung des maroden Gebäudes hat der Stadtstaat kein Geld. Genau umgekehrt ist es bei der Deutschen Oper, die im westlichen Vorort Charlottenburg über einen voll funktionsfähigen Neubau verfügt – aber dank hausinterner Querelen in einer tiefen künstlerischen Krise steckt. Den Mittelweg beschreitet das kleinste der drei Häuser, die Komische Oper: Qualität der Aufführungen und Zustand des Gebäudes geben weder für Begeisterung noch für Bestürzung Anlass. Bei einem jährlichen Zuschuss von rund 30 Millionen Euro ist allerdings auch das zu wenig.

Statt endlich über das künstlerische Niveau zu diskutieren, wird in Berlin seit Jahren eine inhaltsleere Debatte über die Zahl der Vorstellungen geführt – als wäre es ein Wert an sich, dass es pro Jahr rund 650 Opernaufführungen in der Stadt gibt. Doch an den meisten Abenden werden die immer gleichen Kassenschlager wie Mozarts „Zauberflöte“ oder Verdis „Traviata“ gezeigt – an den übrigen Tagen bleiben die Ränge zu mehr als die Hälfte leer.

Die Frage, um die es geht, wagt keiner mehr zu stellen: Wozu wird Oper überhaupt subventioniert? Erstens: Damit anspruchsvolle Kunst stattfinden kann, die ohne staatliche Zuschüsse nicht möglich wäre. Das verträgt sich schlecht mit gedankenlosen Abspielen des immer Gleichen. Zweitens: Damit die Karten gerade noch erschwinglich sind und die Steuerzahler die Kunst, die sie finanzieren, auch sehen können. Diese Absicht geht buchstäblich ins Leere, wenn die Leute gar nicht kommen.

400 hochkarätige Aufführungen, die tatsächlich ausgebucht sind, wären besser als 650-mal Langeweile vor halb leerem Haus. Mit der öden Routine, die den Berliner Alltagsbetrieb dominiert, ist niemandem gedient. Schlecht geprobte Repertoirevorstellungen uralter Inszenierungen frustrieren die Künstler und verschrecken das Publikum. Sie beschädigen obendrein das Ansehen der Stadt bei Touristen oder Investoren, auch wenn die Anwälte des Status quo gerne das Gegenteil behaupten. Weniger Aufführungen, dafür in verlässlicher Qualität: Mit diesem Rezept hat sich die allseits gefeierte Stuttgarter Oper ihren Spitzenplatz erobert.

Die Berliner Opernhäuser haben zwar unter dem Druck des Haushaltslochs gelernt, auf die Bedürfnisse ihres Publikums einzugehen. Doch mit jenen 40 Millionen Euro an Subventionen, die jedes der beiden großen Häuser im Jahr erhält, ist ein international konkurrenzfähiger Opernbetrieb langfristig nicht mehr zu organisieren – zumal auch die Einnahmen aus dem Kartenverkauf im wirtschaftsschwachen Berlin weit niedriger sind als andernorts. Auch deshalb liegt der Gesamtetat der Staatsopern in Wien oder München um die Hälfte höher.

Ein Erhalt aller drei Häuser bei stagnierenden Etats bedeutet, die Politik des Kaputtsparens fortzusetzen. Mit dem Stiftungsmodell, das derzeit ventiliert wird, sucht die Berliner Landespolitik erneut den Weg des geringsten Widerstands: Den schleichenden Qualitätsverlust aller drei Häuser wird die breite Öffentlichkeit kaum bemerken, bei einer Opernschließung dagegen wäre der Aufschrei groß.

Wer die Oper aber liebt, muss sich zu diesem Schritt entschließen – und darf sich nicht länger von dem Argument abschrecken lassen, man spare wegen der Unkündbarkeit des Personals kurzfristig gar kein Geld. Mit dieser Begründung wird die längst fällige Entscheidung schon seit 1990 verhindert. Doch in diesen zwölf Jahren wäre der Spareffekt längst eingetreten. Jetzt wird es wirklich Zeit.

Nein

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Es erscheint opportun, beinahe unbedenklich, von Schließung zu reden. Wo Klinikbetten reduziert werden, Bibliotheken über keine Ankaufsetats mehr verfügen oder der soziale Wohnungsbau gegen null tendiert, gleicht die Proklamation für den Erhalt dreier selbstständiger Opernhäuser fast einer Idolatrie aus glorreichen Zeiten gefüllter öffentlicher Kassen oder der Anbetung eines großbürgerlichen Kultur- und Bildungswahns aus dem 19. Jahrhundert. Das kulturfeindliche Argument „Kitas statt Opern“ oder der Ruf: „Macht doch eine Bühne zu, dann wird es billiger und besser“, scheinen evident angesichts leerer Kassen und degressiver Zuschüsse an allen Ecken und Enden.

Doch jeder Glaube an die Reduzierung der spezifischen Berliner Opernlandschaft auf ihre betriebswirtschaftliche Größe, auf kontrollierte und ergebnisorientierte Budgetierung sowie Steuerung konterkariert sich selbst: Zum einen ist es nur naiv, Kulturinstitutionen nach ökonomischen Kriterien zu bemessen, bildet doch die Rechnung „Kunst versus Kapital“ ein Missverhältnis, das an den Realitäten jedes Kulturbetriebs vorbeigeht.

Zum anderen liegen Kalkulationen auf dem Tisch, die die Schließung einer der drei Berliner Opernhäuser kurzfristig als wenig sinnvoll und nachhaltig als unrentabel, ja problematisch ausweisen. Das mögliche Aus für die Deutsche Oper an der Bismarckstraße oder die Komische Oper würde zu einem „Sparerfolg“ von gerade einmal 7 Millionen Euro führen, die Gegenrechnung eines leer stehenden Hauses, von Abfindungen und sozialen Kosten nicht mitgezählt – ganz zu schweigen von den fehlenden wirtschaftlichen Effekten, die der „harte Standortfaktor Kultur“ der Stadt zuspielt.

Niemand wird gegen die Verbesserung der internen organisatorischen Abläufe, gegen eine gemeinsame Verwaltung und ein abgestimmtes Marketing zwischen Staatsoper, Deutscher und Komischer Oper plädieren. Niemand kann gegen Absprachen beim Programm und für den Austausch von Spielstätten und Werkstätten sein. Und niemand wird gegen den notwendigen Schnitt aufgeblähter Führungsstrukturen bei den Bühnen demonstrieren – doch gegen den Zugriff von Politik und der Finanzbürokratie, die das Besondere kultureller Einrichtungen bloß ignoriert, schon. Also: Schluss mit der Musiktheater-Plünderung, die das Primat der Einsparung nur vorschiebt, um sich eines „Problems“ zu entledigen, aber in Wirklichkeit bedenkenlos Kunst, kulturelle Identität und kulturelles Leben zerstört. Wer – wie der Finanzsenator – glaubt, in Zeiten der Krise Kultur als Katalysator unseres sozialen Lebens aus finanziellen Gründen beschneiden zu müssen, handelt unverantwortlich, bedarf es ihrer – auch der Oper – gerade dann doch umso mehr.

Ein Plädoyer für den Erhalt der drei Berliner Opernhäuser bedeutet also keineswegs, der Festschreibung bestehender Strukturen oder falsch verstandener Konkurrenzen das Wort zu reden. Fragwürdige Inszenierungen, etwa Mozarts „Zauberflöte“ oder Wagner-Aufführungen an der Deutschen Oper, müssen nicht sein. Schon gar nicht, wenn sie als Mehrfachinszenierungen existieren und zudem etwa von der Staatsoper besser bedient werden.

Vielmehr geht es um die Neudefinition einer ererbten Bühnenlandschaft und deren künstlerischen Rang. „Die Bedeutung der Gattung Oper für das kulturelle Leben der Stadt und die internationale Ausstrahlung der Bundesrepublik“, unterstrich einmal Ulrich Eckhardt, früherer Chef der Festspiele Berlin GmbH, die Sonderstellung und den Wirkungsgrad dreier selbstständiger Operhäuser, begründe sich insbesondere durch den „Dreiklang unterschiedlich profilierter Opernhäuser mit eigenen Traditionen, Adressaten und künstlerischen Potenzialen“.

Im Vergleich zu anderen europäischen Opernhauptstädten wie Wien, Mailand oder Paris ist Berlins Opernlandschaft aus seiner spezifischen Geschichte und der Teilung der Stadt entstanden. Die ideologisch begründete Eröffnung der Westoper an der Bismarckstraße – ähnlich der des Kulturforums – hat der Stadt aber keine Bürde, sondern nachhaltig die Chance hinterlassen, Oper als historische und moderne Kunstform für ein breites Publikum zu generieren.

Begreift eine Opernreform sich nicht als Reformgrab, sondern als Reformwagnis, kann der so genannte Dreiklang radikal neu und zukunftsträchtig definiert werden. Keine Stadt, nicht einmal London, Paris oder New York, leistet sich beispielsweise gleich drei Großmuseen für barocke Kunst oder die Moderne. Keine Stadt erlaubt sich mehrere Theaterbühnen mit ähnlichem oder gar gleichem Repertoire, liegt doch hier wie bei den Museen der Erfolg im differenzierten Angebot, in der Mischung und Qualität – und nicht in der sich gegenseitig beschneidenden Konkurrenz.

Die finanzielle und personelle Krise muss jetzt den Blick schärfen für neue Strukturen (etwa eine Generalintendanz) und für Räume klarer künstlerischer Profilierung sowie die Erarbeitung von Qualiäten und Ausdrucksformen, ohne die Autonomie eines jeden Hauses zu beschädigen. Die Räume sind: ein Haus für die Barockoper, eine Bühne für die großen Opernschlachten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und ein Haus für die Moderne und für zeitgenössische avantgardistische Experimente. Wer welche Bühne, welches Haus, Ensemble und Orchester bespielt, welche spezifischen Räume dazu geeignet sind, ist mehrfach debattiert worden. Hier ist nicht der Ort, Zuweisungen in Richtung Deutsche Oper, Staatsoper oder Komische Oper zu unternehmen, zumal eine wirkliche Reform sich erst als solche erweist, wenn sie sich nicht starr, sondern flexibel gibt. Vielmehr ist hier der Ort, die inhaltlichen und künstlerischen Konzepte den ökonomischen vorzuschalten: mit einem Szenario des Erhalts, für ein kulturelles Erbe und dessen moderne Fortführung, die auch hunderte von Arbeitsplätzen sichert.

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