: Rauhes Klima
Aus Sachbeschädigung wird „besonders schwerer Landfriedensbruch“: In Flensburg gerät seit einer Silvesterdemo die linke Szene unter Druck
von KAI VON APPEN
Flensburg hat in Sachen Demonstrationen oder Polizeiübergriffe nie sonderlich für Schlagzeilen gesorgt. Doch seit vorigem Silvester gerät die linksalternative Szene in der Fördestadt unter Druck: 44 Menschen sind wegen der Teilnahme an einem „Silvesterspaziergang“ wegen „Landfriedensbruch im besonders schweren Fall“ angeklagt. Die ersten Urteile – neun Monate Knast auf Bewährung – sind schon gesprochen worden.
Es beginnt am frühen Abend des 31. Dezember 2001 ganz harmlos. Rund 80 Flensburger und Freunde auf Silvesterbesuch versammeln sich spontan nach Mund zu Mund Proganda, um angesichts des Afghanistankrieges und der Terrorismushysterie für Grundrechte zu demonstrieren. Der Marsch verläuft zunächst friedlich. Lediglich ein paar Böller und Leuchtraketen fliegen in die Luft.
Unbemerkt vom Gros der Teilnehmer sprühen dann offenbar Einzelne Parolen an Hauswände. Zivilbeamte schreiten ein. In der Nähe vom Südermarkt kommt es dann zur Eskalation, als die Polizei mit Verstärkung auffährt und die Lage für alle Beteiligten unübersichtlich wird. Einzelne Polizisten bilden Greifkommandos, andere halten sich zurück.
An der Rathausstraße wird der Zug von der Polizei in Gänze angegriffen. „Es kommt zu einer regelrechten Treibjagd auf die nur noch fliehende Menge“, berichten Teilnehmer. In einem Hof kesseln Polizisten unter massivem Einsatz von Schlagstock und Pfefferspray 44 Personen ein. Diese werden bis zu 28 Stunden festgehalten – zum Teil zu sechst in ungeheizten Einzelzellen und zunächst ohne Toilettengang. Der einheitliche Vorwurf zum Schluss: „Gemeinschaftliche Sachbeschädigung.“
Doch damit war die Staatsanwaltschaft offenbar nicht zufrieden: Zwei Wochen später, am 15. Januar 2002, durchsuchen 120 Polizisten das Wohnprojekt „Hafermarkt“ und sechs weitere Objekte mit dem Ziel, Gegenstände zu finden, die den Vorwurf der Sachbeschädigung untermauern könnten. Gefunden wird nichts. „Es geht der Polizei darum, die linke Struktur in Flensburg zu durchleuchten“, so die erste Einschätzung der Betroffenen.
Die Staatsanwaltschaft legte noch nach: Aus einem möglichen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, der aus dem Abfeuern von Leuchtraketen zu begründen sein könnte, wird ein „besonders schwerer Landfriedensbruch“ konstruiert. Gegen die 44 Personen wird eine Wort für Wort gleich lautende Anklage geschrieben – in der der eigentlich notwendige „individuellen Tatvorwurf“ fehlt.
Restriktive prozessuale Maßnahmen werden angeordnet: So soll jeder Fall in einem einzelnen Prozess verhandelt werden, und jeder der 44 Angeklagten muss sich einen eigenen Anwalt suchen – kein Verteidiger darf zwei Mandanten vertreten. In Flensburg gibt es aber nur wenige Anwälte, die auf Polit-Prozesse spezialisiert sind. „Das Verbot von Mehrfachverteidigung ist ein Unding“, sagt auch der Hamburger Anwalt Andreas Beuth, der eingesprungen ist: „Ich kann nur zu dem Eindruck gelangen, dass eine rechtsstaatliche Verteidigung gar nicht erwünscht ist.“
Dass der gesamte Anklagekomplex hanebüchen ist, findet der Kieler Anwalt Axel Hoffmann auch in der Begründung des ersten ergangenen Urteils bestätigt: Dem Angeklagten wird darin „psychische Beihilfe zum schweren Landfriedensbruch“ attestiert. Für Hoffmann schon jetzt ein Fall für die Revision: „Sie können keinem nachweisen, was er gemacht hat oder dass er was gemacht hat – nur dass er irgendwann festgenommen worden ist.“
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