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Bekanntschaft mit der Welt

Fernsehgeschichte III: N 3 hat tief im Fundus gewühlt. Herausgekommen ist die „NWDR-Rolle“ (23.30 Uhr) – drei Stunden aus den Kinderjahren des deutschen Fernsehens. Erinnerungen an den unaufhaltbaren Siegeszug eines eher flüchtigen Mediums

von JAN FEDDERSEN

Anfänglich war schon der Name strittig. Wie sollte dieses Neue, von dem nicht klar sein konnte, welche Macht es haben würde, heißen? Television vielleicht? Wie in den meisten anderen europäischen Ländern? Nein, das klang wie ein Fremdwort. Als wäre das nur was für Gebildete.

Ein junger Mitarbeiter des Nordwestdeutschen Rundfunks, wie der erste öffentlich-rechtliche Sender in der Bundesrepublik hieß, schlug vor, ein Wort zu nehmen, das dieses neue Medium am ehesten charakterisiert: Fernsehen. Weil der Zuschauer eben fernsieht – über den eigenen Zaun hinaus. Und nicht nur hört, sondern auch sieht.

Keine Konserve, hieß das, um sich vom Kino abzugrenzen. Sondern live, obwohl es auch diesen Begriff nicht gab – weil eben alles direkt ausgestrahlt wurde, ohne Zeitverzug. Christian Stöffler lässt diese Geschichte wie viele andere Anekdoten aus dem Säuglingsstadium dieses Mediums erzählen. Von früheren Mitarbeitern dieses Senders. Ein Kameramann kommt zu Wort, eine Reporterin, ein Sendeleiter. Und vom ersten und wichtigsten NDR-Fernsehreporter Jürgen Roland, der später mit seinen „Stahlnetz“-Krimis berühmt werden sollte, erfährt man, dass dieser Anfang – der ja kein echter war, weil schon die Nazis das Fernsehen zu etablieren suchten – vom Zauber aller schönen Anfänge begleitet war. Junge Leute erfinden quasi ein neues Medium: „Es war eine großartige Zeit. Wir hatten alles vor uns“, sagte er jungen Journalisten schon vor Jahren.

Stöffler hat sich monatelang in den Bilder- und Tönefundus des NDR begeben. Er wusste, worauf er sich einlässt. Er hat schon mehrere so genannter Rollen fabriziert, mehrere zum Grand Prix Eurovision, eine zur Discozeit der Siebziger- und Achtzigerjahre. Was ihm diese „NWDR-Rolle“ besonders schwer zu collagieren machte, war, dass das Fernsehen erst zwanzig Jahre nach dem Beginn seines regelmäßigen Programms begann, sich selbst zu archivieren. Was noch zu finden, vor allem den Stoff aus den Fünfzigerjahren, gab es nur, wenn es eigens mit einer Filmkamera abgefilmt worden war.

Genug zusammengetragen wurde trotzdem. Kostbar die Szenen der ersten Auslandsreportage des NWDR, des ersten „Weltspiegels“ quasi: Deutsche Reporter halten sich in Belgisch-Kongo (so hieß das damals) auf und zeigen ein Stück einer Welt, die niemand außer ihnen je gesehen hat. Sie sprechen politisch nicht besonders korrekt, aber ihre Distanz in den Kommentaren zur bourgeoisen Kolonialwelt der (hellhäutigen) Belgier ist spürbar: So begann offenbar auch der Multikulti-Diskurs schon sehr früh. Am Rande aber notiert: Die notgedrungen nicht live gesendete Reportage war auszustrahlen nur möglich, weil der Intendant Pleister just zur Kur weilte: Anderes als Ex-und-hopp-Ware war dessen Meinung nach nicht fernsehgerecht.

Im Laufe der drei Stunden wird merkbar, wie zäh der Anfang dieses Mediums war. Wenige Menschen nur konnten die ersten Sendungen sehen – aber schon ein Jahr nach der Programmaufnahme waren die Sendungen fast ausnahmslos Gegenstand öffentlicher Gespräche. „Wer ein Gerät hatte“, erzählt eine NDR-Mitarbeiterin, „der kriegte immer Besuch.“ Und zu spüren ist auch, wie schnell die Deutschen es klasse fanden, dieses Gerät, mit dem Bekanntschaften mit der Welt irgendwo draußen geschlossen werden konnten – immer aus der Distanz, zur Probe sozusagen.

Gelegentlich nervt die Begleitmusik: Zu Bilderreigen aus absolut bizarren „Tagesschauen“ der frühen Fünfzigerjahre läuft Techno oder Trance: als ob die Bilder nicht schön genug seien.

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