: Unser täglich Rabattterror
Auf Schritt und Tritt und an jeder Ecke ein Preisnachlass oder ein Gutschein: Was es heißt, in schweren Zeiten auch zu Weihnachten seriös zu konsumieren. Ein Rundgang
In diesen Weihnachtstagen, da das ganze Jahr schon schlecht war und es uns allen schlecht geht, gibt es kein Pardon mehr: Rabatt- und Gutscheinterror, wohin man sein auch Geld trägt. Die Tage des lust- und reuevollen Konsums sind definitiv vorbei. Das fängt morgens mit dem täglichen Angebot beim Großbäcker Thürmann an. Fünf Partybrötchen für ein Euro. Zwei Laugenstangen für einen Euro. „Und darf es nicht auch ein Stückchen Kuchen sein?“, fragen die Verkäuferinnen noch beim Bezahlen. Schon seit Anfang Dezember hatte man hier Weihnachtskalender in die Brötchentüte gelegt bekommen, wo sich hinter jedem Türchen das Tagesangebot versteckte.
Auch bei Kaiser’s in der Winsstraße wird man mit Niedrigpreisangeboten geradezu drangsaliert. Mit „1.000 niedrigen Preisen“ und „Immer günstig“ wirbt Kaiser’s schon seit Monaten. Das ging zeitweise so weit, dass wirklich der halbe Markt mit irgendwelchen Angeboten ausgezeichnet war, und wenn es sich nur um einen 1 Cent handelte. „Rechnen Sie sich das aus bei nur 10, 12 oder 15 Produkten“, erklärte Fililaleiter Metzger den genervten Kunden und wies auf den Druck hin, den die umliegenden Lidl- und Netto-Märkte auf den armen Kaiser’s-Markt ausüben würden. Etwas sprachlos und seinerseits sehr genervt war der gute Herr Metzger aber, als man ihn dann mit den spaßigsten seiner Angebote konfrontierte: Vorher 99 Cent, jetzt 99 Cent. Und noch schöner glänzte das gelbe Schildchen auf irgendeinem Scheiblettenkäse, der sich von 1,35 Euro auf „jetzt nur noch 1,38 Euro“ verbilligte.
Weiter geht es dann so einen Einkaufstag über beim Kaufhof, bei Douglas (Kundenkarte? Kundenkarte?) und auch in den Lädchen in der Neuen Schönhauser Straße und Umgebung. Bei Kookai zum Beispiel, wo jedes Kleidungsstück scheinbar noch kurz vor Weihnachten erheblich runtergesetzt wurde (und sich wieder einmal die gute alte Schlussverkaufsfrage stellt: Haben jemals die ausgezeichneten alten Preise gegolten?). Will man sich dann politisch inkorrekt bei Starbuck’s in einen Sessel fläzen und einen Kaffee trinken, gibt es sofort ein Bonusheft in die Hand, das nach dem achten abgestempelten Kaffee (für im Schnitt üppige 3 Euro) einen für umsonst verspricht. Wer sich hier verarscht verkommt, hat wohl die angespannte wirtschaftliche Situation nicht verstanden!?
Der Kampf ist brutal, es geht ums Überleben, und selbst die Sperrmüllhändler müssen ran: Nach einem langen Tag hängt abends an der Haustür plötzlich ein Zettel, der sich als ein „10 € Gutschein (2 Jahre gültig – 1 Schein pro Person)“ entpuppt. „Aktion Abholung“ steht noch drauf, „Möbel, Geräte, Bauschutt etc, Umzüge, Transporte“. Und über einer Telefonnummer: „Schnell, preiswert, seriös helfen wir Ihnen gern“. Da bleibt nur zu hoffen, dass es bald wieder seriös aufwärts geht mit der Ökonomie. Ohne Preisnachlässe, Gutscheine, Rabatte. Und vielleicht auchwieder mit uns!
FRANCIS BERGMANN
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