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Ein Dinosaurier für den Energieriesen

EnBW-Chef Gerhard Goll erhält für seine Atompolitik gerade noch rechtzeitig den peinlichsten aller Umweltpreise

Gerhard Goll klebt nicht an einem Sessel. Richter, Politiker, Regierungssprecher, Banker und Fraktionsvorsitzender der CDU im baden-württembergischen Landtag ist der 60-jährige Stuttgarter alles schon gewesen. Zurzeit ist er Chef des drittgrößten Energiekonzerns Deutschlands, der Energie Baden-Württemberg (EnBW), bekannt vor allem durch ihren „Yello-Strom“ aus Atomkraftwerken.

Doch auch den Vorstandsposten will er im nächsten Jahr abgeben. Für den Naturschutzbund Deutschland (Nabu) war es die letzte Chance, Goll mit dem Dinosaurier des Jahres auszuzeichnen. Die possierliche Zinnechse mit Nabu-Halsband wird alljährlich an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens verliehen, die sich „sowohl durch herausragende Einzelleistungen als auch durch die Summe ihrer Verfehlungen in Sachen Umwelt- und Naturschutz besonders hervorgetan haben“. Preisträger vergangener Jahre waren der Bauernpräsident Gerhard Sonnleitner oder der Chef des Ölkonzerns Exon, Lee R. Raymond.

Goll erhält den ungeliebten Umweltpreis für seine „beharrlichen Versuche, der nicht mehr akzeptierten Atomenergie in Deutschland eine Zukunft zu sichern“, sagte Nabu-Geschäftsführer Gerd Billen gestern in Berlin in seiner Laudatio. „Mit langsamem Lernen und der Ignoranz, mit der er sich über die Sicherheitsbedenken der Bevölkerung hinweggesetzt hat“, habe er sich den Preis verdient.

Im Herbst dieses Jahres war an die Öffentlichkeit gelangt, dass sich der EnBW-Chef in einer Geheimabsprache mit Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) eine Laufzeitverlängerung des AKW Obrigheim zusichern ließ. Erst darauf unterzeichnete er den so genannten Atomkonsens, nach dem Deutschlands ältester Reaktor Anfang nächsten Jahres hätte vom Netz gehen müssen. „Der Schrottreaktor Obrigheim hätte bereits im Jahr 2000 nach der Regellaufzeit von 32 Jahren abgeschaltet werden müssen“, fordert hingegen der Nabu und wies auf dessen Altersschwächen hin. So sei der Reaktordruckbehälter spröde, das Notkühlsystem pannenanfällig. Und die Anlage sei allenfalls gegen Abstürze kleiner Sportflugzeuge gesichert.

Gerhard Goll erhält den Dino des Jahres aber nicht nur für Obrigheim. Auch mit dem Atomkraftwerk Philippsburg konnte er immer wieder Schlagzeilen landen. Im vergangenen Jahr war bekannt geworden, dass der Reaktor weiterlief, obwohl es gravierende Mängel am Notkühlsystem gab. Atomkraftgegner forderten damals, der EnBW wegen Unzuverlässigkeit die Erlaubnis zum Betrieb von kerntechnischen Anlagen zu entziehen.

Goll saß einfach alle Vorwürfe aus und ließ dann den technischen Vorstand über die Klinge springen. Mitte Dezember gab er dann bekannt, dass an allen drei Reaktorstandorten der EnBW bis zum April 2003 ein Sicherheitsmanagement aufgebaut werden solle.

Sollte es danach noch Pannen geben, wird sie Goll nicht mehr zu verantworten haben. Er hat angekündigt, Mitte 2003 seinen Chefsessel zu räumen. Kritiker deuten den Rückzug als Flucht vor den Schwierigkeiten, in der das unter Goll vereinigte Unternehmen steht. Die Billigstromsparte Yello macht Verluste, der Einstieg in das Gasgeschäft und der Gang an die Börse mussten zunächst aufgeschoben werden.

PHILIPP HORSTMANN

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