Arbeitsmarktexpertin Jutta Allmendinger: Abgeblitzt bei der Kommission
Die Soziologin Jutta Allmendinger sprach vor der Wachstumskommission. Aber deren Mitglieder verstanden sie nicht. Heizen Frauen das Wachstum etwa an?
BERLIN taz | Am Ende der Veranstaltung ist Jutta Allmendinger ziemlich genervt, dabei hat sie doch Geburtstag. Montag Mittag gratulieren die 34 Mitglieder der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" ihrer Rednerin Allmendinger, Chefin des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB), erst einmal zum 55. Aber eigentlich wollen sie sich von der Arbeitsmarktexpertin erklären lassen, was Frauen und Männer für das Wirtschaftswachstum in Deutschland tun können und was sie lassen sollten. Im Fachjargon heißt das "Hinweise auf eine geschlechtergerechte Wirtschaftsordnung".
Jutta Allmendinger ist in ihrem Element. Sie spricht über die Dinge, die sie seit Jahrzehnten beschäftigen: über Frauen und Männer und darüber, wie sie arbeiten, was sie dabei verdienen und was das für ihre Rente heißt. Was sie sich für ihr Leben wünschen und wie der Arbeitsmarkt beschaffen sein sollte, so dass er allen gerecht wird: Frauen, Männern, vor allem aber Familien.
Jutta Allmendinger präsentiert Schaubilder, Umfragen und Zahlen. Wie ein Mantra wiederholt sie, dass Mädchen besser in der Schule und beim Studium, später in den Führungsetagen aber kaum zu finden sind. Dass sie weniger verdienen als Männer. Und dass es nicht genügend Kita-Plätze und zu wenig Teilzeitjobs für Männer und für ChefInnen gibt.
"1960 haben 47 Prozent Frauen gearbeitet, heute sind es 66 Prozent", sagt Jutta Allmendinger: "Aber sie leisten heute insgesamt nicht mehr Arbeitsstunden als damals." Denn sie hocken meistens auf Teilzeitstellen, hauptsächlich in der Dienstleistungsbranche. Bei den Männern ist das anders: Ihre Erwerbsquote und die geleisteten Arbeitsstunden sind fast zu gleichen Teilen leicht gesunken.
"Die Frauen wollen arbeiten."
Was heißt das nun für das Wachstum in Deutschland? Jutta Allmendinger hat eine klare Antwort: mehr Frauen in den Arbeitsmarkt, aber nicht auf die schlecht bezahlten und karrierehemmenden Teilzeitjobs, sondern wie beim "finnischen Modell" auf qualifizierte 30-Stunden-Stellen. Da gehören auch die Männer hin, sagt sie: "Die müssen also weniger arbeiten."
Das wollen die meisten auch, das weiß Jutta Allmendinger aus zahlreichen Umfragen. Sie sagt: "Die lange Teilzeit schafft mehr Lebensqualität, für alle." So wie es aber jetzt laufe, sei es "suboptimal." Und: "Die Frauen wollen arbeiten." Aber sie könnten es nicht. Gründe: fehlende Kita-Plätze, falsche Anreize für die Ewerbsarbeit. Nur 9 Prozent der Frauen mit Kindern unter drei Jahren sind Vollzeit und 20 Prozent Teilzeit erwerbstätig, alle anderen haben keinen Job. Jutta Allmendinger nennt das "ungenutzte Potenziale".
Matthias Zimmer hört aufmerksam zu. Er sitzt für die CDU in der Enquete-Kommission, der Katholik hat an der Uni der Bundeswehr promoviert. Er stellt als Erster eine Frage: "Provozieren wir durch die Erwerbsarbeit der Frauen nicht das Wachstum, das wir kritisieren?" Jutta Allmendinger sitzt ihm schräg gegenüber, sie gestikuliert wild, so wie sie das immer tut, wenn sie redet: "Die berufliche Dequalifikation von Frauen, die wegen der Kinder aus dem Job aussteigen, geht rasend schnell vonstatten." Und: Für Frauen gebe es heute keine bessere soziale Absicherung als Erwerbsarbeit, auch für eine eigenständige Rente sei diese dringend nötig. Und: Einmal Teilzeit, immer Teilzeit.
Später meldet sich Meinhard Miegel zu Wort. Der umtriebige Sozialwissenschaftler fragt sich, ob die Frauen und Männer tatsächlich so gern arbeiten wollen, wie sie in den Umfragen angeben. "Oder antworten sie nicht eher im Sinne des gesellschaftlichen Leitbildes?", hebt Meinhard Miegel die Schultern. Auch Claudia Bögel, Kauffrau und seit 2009 für die FDP im Bundestag, stellt sich Fragen: "Vielleicht wagen es Frauen schlichtweg nicht in die Führungspositionen? Vielleicht liegt das an ihrer sozialen Disposition?"
Jutta Allmendinger atmet tief durch. Sie wirkt resigniert. Hat sie solche konservativen Argumente erwartet, in der Enquete-Kommission, die sich um den deutschen Wohlstand kümmern soll? Sie sagt: "Wenn ich junge Menschen frage, ob sie in der ersten oder zweiten Reihe sitzen wollen, erhalte ich Antworten, die sich nicht nach dem Geschlecht unterscheiden."
Und dann geht sie. Geburtstag feiern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene