Arbeitskonflikte an der FU Berlin: Ein echter Knochenjob
An der Veterinärmedizin der FU protestieren Beschäftigte gegen schlechte Arbeitsbedingungen. Jetzt fordern sie in diesem Zusammenhang ein Streikrecht.

Mit der Aktion „Tag der Offenen Zuschläge“ prangerte die Gewerkschaft Verdi an, dass Beschäftigten in allen Lohngruppen des Fachbereichs Geld für Überstunden, Nachtdienste und Gefahrenzulagen vorenthalten wurde, die ihnen der geltende Tarifvertrag TV-L Berlin zusichert. Als Reaktion darauf verlängerte die Universität den Zeitraum für die Mitarbeiter*innen, einmalig ausstehende Zahlungen für sechs Monate geltend zu machen. Die Höhe der geleisteten Nachzahlungen ist noch nicht bekannt.
Ende Oktober stehen nun Tarifrunden im öffentlichen Dienst an. Neben den üblichen Punkten wie Löhnen und Arbeitsumfang könnte es diesmal um mehr gehen: Unter dem Namen „Aktionskomitee zur TV-L-Tarifrunde 2023 an der FU“ haben Beschäftigte am 7. September eine Petition mit neun Forderungen in Umlauf gebracht, die von den Gewerkschaften in die Verhandlungen eingebracht werden sollen. Darin sprechen sich die Unterzeichnenden dafür aus, gewerkschaftlich für die Einhaltung des Tarifvertrags streiken zu dürfen.
Damit hätten die Arbeitenden ein neues Druckmittel – denn bislang bleibt oft nur der individuelle und oft langwierige Gang vor Gericht, wenn der Arbeitgeber gegen den Tarifvertrag verstößt. Innerhalb der Gewerkschaft Verdi sei diese Forderung auch umstritten, sagt Lukas Schmolzi von der Verdi-Betriebsgruppe der FU. Die Gewerkschaften im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) streiken üblicherweise nur nach der Rechtsauslegung in Deutschland: nämlich um Tarifverträge zu gestalten und abzuschließen.
Ein individueller Ausweg aus schlechten Arbeitsbedingungen bleibt die Kündigung. Ronny Weigang ist ein Beispiel dafür: Der technische Assistent war seit 2018 in der Röntgenabteilung der Klinik für Pferde angestellt, die zum veterinärmedizinischen Lehrkrankenhaus der FU gehört. Studierende absolvieren hier einen Teil ihrer Ausbildung. Halter*innen bringen ihre Tiere zu Untersuchungen und Operationen, auch eine Notfallversorgung wird angeboten.
Kaum Zeit für Sorgfalt
Für Weigang waren die Arbeitsbedingungen nicht mehr auszuhalten, vor ein paar Wochen hat er den Betrieb verlassen. „Die psychische und körperliche Belastung war mit der Zeit einfach zu groß“, fasst er seine Entscheidung zusammen. Mehr als drei Jahre hat er versucht, gegen eine falsche Lohneingruppierung vorzugehen. Auch ihm wurden die tariflich geregelten Zuschläge nicht verlässlich gezahlt. Unterbezahlung und Personalmangel griffen ineinander: Wie viele Kolleg*innen machte Weigang Überstunden und übernahm ständig zusätzliche Aufgaben. Seine eigentliche Arbeit, das Röntgen der Tiere, litt darunter. Sorgfalt, Überprüfen und Nachbereitung der Bilder? Dafür sei kaum Zeit gewesen. Dabei ist hohe Qualität für Diagnostik und die Vorbereitung von Operationen notwendig.
Die dauernde Behelfssituation birgt Risiken für die Beschäftigten. Die Fachkräfte sind nicht beliebig austauschbar, denn jede Arbeit der Ärzt*innen, Tierpfleger*innen und des technischen Personals erfordert eine spezielle Ausbildung, Routine und Wissen. Zwei Arbeitsunfälle hat Weigang erlitten, als er einem Pferd Hufeisen abnehmen sollte – eigentlich Aufgabe eine*r Schmied*in. Diese Stelle ist seit Jahren unbesetzt. „Die Arbeit hat mich in dieser Hinsicht wirklich kaputt gemacht“, sagt Weigang. Auch in Sachen Tierwohl findet er die Situation bedenklich. Lange habe er versucht, im Betrieb etwas zu ändern, nun aber aufgegeben.
Im Fachbereich ist derzeit eine Stelle in der Radiologie ausgeschrieben: Erwünscht seien „ausgeprägte Leistungsbereitschaft und Zuverlässigkeit“, heißt es darin.
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