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Arbeitsgericht urteilt im Pfandbon-StreitSieg für "Emmely"

Die wegen des Diebstahls zweier Pfandbons im Wert von 1,30 Euro gekündigte Kaisers-Kassiererin Barbara E. muss wieder eingestellt werden - entgegen früherer Urteile.

Sieg vor dem Bundesarbeitsgericht: Kassiererin Barbara E. Bild: dpa

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die Kündigung wegen Bagatellen mit einem spektakulären Urteil erschwert. Erfolg hatte eine Klage der Berliner Kassierin Barbara E. (genannt "Emmely") gegen ihre Kündigung durch die Supermarktkette Kaisers. Das BAG erklärte die Kündigung für unwirksam. Eine Abmahnung hätte in dem Fall genügt, argumentierten die Richter. Kaisers muss "Emmely" deshalb weiter beschäftigen.

Die Kassiererin, die von allen "Emmely" genannt wird, arbeitete bei der Supermarktkette Kaisers und war im Februar 2008 nach 31-jähriger Betriebszugehörigkeit fristlos entlassen worden. Der Vorwurf: Sie habe zwei von einer Kollegin gefundene Pfandbons im Wert von zusammen 1,30 Euro an sich genommen und zu ihrem Vorteil eingelöst. Die Kündigung war in zwei Instanzen bestätigt worden, zuletzt vom Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin im Februar 2009.

In der Verhandlung hatte E.s Anwalt Benedikt Hopmann verlangt, dass eine derart geringfügige Schädigung des Arbeitgebers lediglich zu einer Abmahnung, nicht zur Kündigung wie in diesem Fall führen dürfe. "Manager und Geschäftsführer werden in solchen Fällen auch nicht gekündigt", argumentierte Hopmann vor Gericht.

Die Anwältin der Supermarktkette, Karin Schindler-Abbes, hatte auf die niedrigen Margen im Einzelhandel verwiesen. Letztlich komme es aber nicht auf den Wert des Schadens an, sondern auf das unwiderruflich verlorene Vertrauen.

Das Bundesarbeitsgericht ging zwar davon aus, dass das Verhalten der Kassiererin ein schwerwiegender Pflichtverstoß war. Der Arbeitgeber habe sich zurecht die Frage gestellt, ob er E. weiter in der vertrauensrelevanten Position als Kassiererin beschäftigen kann. Allerdings hätte eine Abmahnung in diesem konkreten Fall als Warnung ausgereicht, entschied das Bundesarbeitsgericht. "Wenn eine Warnung ausreicht, dass das Verhalten völlig unakzeptabel war und bei Wiederholung zur Kündigung führt, dann ist eine Weiterbeschäftigung zumutbar", erklärte der Vorsitzende Richter Burghard Kreft in Erfurt.

Für E. sprach vor allem ihre lange Betriebszugehörigkeit. "Da hat sich ein großes Kapital an Vertrauen angesammelt", sagte Richter Kreft. Dass E. immer wieder neue Versionen über das Einlösen des Bons vorbrachte und auch Kolleginnen falsch beschuldigte, spielte für die Richter jedoch keine Rolle bei dem Urteil. "Verhalten nach der Kündigung kann zur Begründung der Kündigung nur dann verwendet werden, wenn es um gleichartige Vorwürfe geht." Die Falschaussagen im Prozess hätten mit E.s Zuverlässigkeit als Kassiererin aber nur am Rande zu tun, so Richter Kreft.

Das Bundesarbeitsgericht hat den Fall nicht an die Berliner Gerichte zurückverwiesen, sondern nun abschließend selbst entschieden. Nach der Verkündung fiel E. ihren Unterstützern in die Arme. Viele Zuschauer im Gerichtssaal trugen T-Shirts mit dem Slogan "Solidarität macht stark".

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20 Kommentare

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  • N
    noevil

    IRRTUM, Frau Karin Haertel, 11.06., 6:10: Pfandflaschen gab es schon vor Jürgen Trittin. Die gibt es schon seit Jahrzehnten. Und es gibt auch schon seit mehr als 20 Jahren Ostdeutsche, die in Westdeutschland leben und arbeiten.

     

    Dem Bundesarbeitsgerichtsurteil kann man nur zustimmen. Eine Abmahnung ist ausreichend, einem Mitarbeiter zu signalisieren, dass Arbeitgeber aufmerksam sind und solches Tun nicht dulden.

  • C
    claudia

    @Wayne interessiert's:

    >>Die 1,30 € stehen weder Kaiser's noch "Emmely" zu. Das Geld steht dem zu, der das Leergut abgegeben hat.

  • LS
    Ludwig Staab

    Ich vermisse in dem Artikel Aussagen darüber, ob es stimmt, daß Emmely ihre Kollegen fälschlich beschuldigt hat. Falls dem so ist, ist es ein Skandal, daß so eine Kollegensau weiterbeschäftigt werden muß!

  • O
    Ottilie

    Mir tun die von dieser Person verleumdeten Kolleginnen leid. Es muss eine Zumutung sein, mit dieser Lügnerin wieder zusammen arbeiten zu müssen. Tengelmann sollte diese Frau nun, nachdem ihre vielen Lügen aktenkundig geworden sind, im Interesse der anderen Mitarbeiterinnen wegen Gefährdung des Betriebsfriedens kündigen.

  • J
    jgo

    Das sich das sogar bis zu den Arbeitsrichtern rumgesprochen hat dass diese Kündigungen ein Skandal sind, ein Wunder ist geschehen.

  • T
    Tommy

    Super. Freue mich für Sie. Bei Kaisers geh ich trotzdem nicht mehr einkaufen

  • R
    runzbart

    das urteil begrüße ich natürlich, aber man hat ein wenig das gefühl, dass es mit gerichtsurteilen, wie mit medizinischen studien ist, die gibts im dutzend billiger und sind vollkommen beliebig.

    und was das zufällig höchste gericht entscheidet ist dann bindend.

    wozu leistet man sich überhaupt noch die niedrigen instanzen, wenn dort immer wieder "fehlurteile" herauskommen?

  • KH
    Karin Haertel

    Erst Geld aus der Kasse stehlen und dann noch in die Kamera grinsen. Peinlicher geht es nicht. Sie kann auch nicht 30 Jahre bei Kaisers gearbeitet haben, denn im Osten - wo sie herkommt - gab es kein Kaisers. Und das Pfandgekluengel ist eine Erfindung von Hernn Trittin (ehemalier Umweltminister) unter Ex-Kanzler Schroeder. Wie glaubwuerdig ist sie also angesichts dieser Tatsachen?

  • KB
    karin bryant

    Im Grunde haette das Gericht entscheiden muessen wie viel geklaut werden darf ohne dass man eine Entlassung befuerchten muss.Also muss nachgebessert werden sonst kommt bald der naechste Fall vor Gericht.

  • S
    saalbert

    "Barbara E. muss wieder eingestellt werden - entgegen früherer Urteile" - Nur mal so am Rande ein Zitat aus dem Duden: "2. ent|ge|gen " - Jawohl: Dativ, nicht Genitiv.

  • WI
    Wayne interessiert's

    Die 1,30 € stehen weder Kaiser's noch "Emmely" zu. Das Geld steht dem zu, der das Leergut abgegeben hat.

  • GS
    Gut so !

    Was heut in Erfurt entschieden wurde ist ein Schritt in die richtige Richtung.

     

    In Zukunft können sich ältere, unbequeme, im schlimmsten Fall noch mit, einem ausreichenden Einkommen sichernden Altvertrag nicht mehr so leicht "freisetzen" und durch wesentlich günstiger Leiharbeitskräfte ersetzen lassen. Das - und da werden mir hier viele Recht geben - war Kaisers einzigste Intention.

     

    Ein gerechtes Urteil zu sprechen, ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Die Gekündigte ist doch sehr viel mehr durch diese Tat bestraft wurden, als es gemäß des Rechtsgrundsatzes der guten Sitten zulässig ist.

  • H
    Hagen

    Herzlichen Glückwunsch, Emmely!!!!!

     

    Das Verhalten von Kaisers ist äußerst beschämend. Eine öffentliche Entschuldigung wäre jetzt angebracht.

  • J
    j.e.

    Toll!

    Ich meine aus dem Toll-Haus!

    Jetzt fehlt nur noch die Richtlinie wie viel € pro Beschäftigungsjahr geklaut werden dürfen und wie viele Kolleginnen man dessen fälschlich beschuldigen darf.

    Die Verluste des beklauten Einzelhandels zahlt der Kunde!

  • KF
    kleinen Fisch

    Ein überfälliges Urteil, das das Vertrauen in die Justiz ein Stück weit wiederherstellt. Allzu offensichtlich war die Disparität zwischen den milden Urteilen etwa in Wirtschaftsstrafverfahren ("Mannesmann-Prozess") und der Mißbrauch Tür und Tor öffnenden Rechtsprechung bei Kündigungen wegen vermeintlich irreparabel geschädigter Vertrauensverhältnisse zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Wolfgang Thierse hat diese Rechtsprechung völlig zu Recht als "barbarisch" und "asozial" gegeißelt.

     

    Klaus Hennemann, Mitglied der Neuen Richtervereinigung und bis vor zwei Monaten noch Arbeitsrichter am Landesarbeitsgericht Mannheim hat diese drastische Wortwahl in einem Inforadio-Interview im Rückblick als durchaus angemessen bezeichnet.

     

    http://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/vis_a_vis/201006/143221.html

     

    Auch die Tatsache, dass in vergleichbaren Verfahren Soldaten und Beamte wesentlich besser wegkamen, spricht für eine Neubewertung ähnlicher, dem Fall Emmely gleichgelagerter Tatbestände durch die Rechtsprechung. Darauf weist der Jurist und "König der Leitartikler" Heribert Prantl in seinem pointierten Kommentar in der SZ hin.

     

    http://www.sueddeutsche.de/karriere/ungerechtes-arbeitsrecht-die-justiz-und-die-kleinen-leute-1.956442

     

    Die Urteile, die Kündigungen wegen mitgenommener Frikadellen, die eh im Abfall gelandet wären und anderer Bagatellvergehen, für Recht erklärten, verfestigten beim mündigen Bürger oder wahlweise auch beim Rechtsunterworfenen den Eindruck, hier werde mit zweierlei Maß gemessen, nach dem Motto "die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen". Daran kann im Interesse des sozialen Friedens niemandem gelegen sein. Der soziale Sprengstoff ist in Zeiten, in denen die Kosten der Finanzkrise auf den kleinen Mann (und die kleine, womöglich auch noch alleinerziehende Frau) umgelegt werden (Sparpaket der Mövenpick-Koalition) auch so schon groß genug.

     

    »Ich habe ja nichts gegen die Klassenjustiz. Mir gefällt nur die Klasse nicht, die sie macht. Und daß sie noch so tut, als sei das Zeug Gerechtigkeit – das ist hart und bekämpfenswert.«

     

    Kurt Tucholsky

     

    In diesem Sinn ist das Urteil des obersten deutschen Arbeitsgerichts ein gerechtes Urteil. Dafür kann man es nur beglückwünschen.

  • K
    Katev

    Einfach toll. Einfach gerecht.

  • BG
    Bernd Goldammer

    Eine gute Nachricht für den Rechtsstaat an den ich glauben will.

  • BG
    Bernd Goldammer

    Eine gute Nachricht für den Rechtsstaat

  • KM
    Kiriacos Madjaroglou

    unfassbar, es gibt noch gerechtigkeit auf der welt...

  • H
    Hans

    Doch noch ein guter Tag. Ich freue mich sehr für Frau E. und ich hoffe KAISERS muss ihr eine schön hohe Abfindung zahlen.

     

    VICTORIA!