Arbeiter in China protestieren für Löhne: Ein Pranger für die Ausgebeuteten
Wenn Arbeiter in China ausstehende Löhne einfordern, decken Behörden oft die säumigen Chefs. In einem Fall gibt es nun breite Empörung.
Der Vorfall in der Stadt Langzhong in der Provinz Sichuan wirft ein Schlaglicht auf die Unfähigkeit des Systems, Arbeiterrechte gegen Arbeitgeber mit politischen Verbindungen und eine Regierung durchzusetzen, für die soziale Stabilität oberste Priorität hat und die große Angst vor Unruhen hat. Dieses Zusammenspiel kann dann auch auf Kosten der Gerechtigkeit gehen. „Wo ist die Würde des Gesetzes? Wo ist das moralische Gewissen?“, fragt Sima Nan, ein Wissenschaftler und Sozialkritiker, der den chinesischen Marxismus verteidigt.
Der Prozess habe Arbeiter bestraft, die für ihre Rechte eintraten, „aber denjenigen verziehen, die böswillig nicht gezahlt haben, ohne jedes Wort einer moralischen Verurteilung“, schrieb Sima auf seinem Mikroblog. Zahlungsrückstände bei Löhnen sind ein großes Problem für chinesische Arbeiter, insbesondere Wanderarbeiter in der Baubranche. Die Löhne sollen eigentlich ausgezahlt werden, bevor die Arbeiter zum chinesischen Neujahrsfest in ihre Heimatregionen reisen, doch halten sich viele Bauunternehmer nicht daran.
Zwar fordert Peking immer wieder zur vollständigen und pünktlichen Zahlung der Löhne auf, doch das Problem besteht weiter. Denn die örtlichen Behörden kümmern sich entweder nicht darum, oder sie stecken mit den Arbeitgebern unter einer Decke. Proteste versuchen sie zu unterdrücken und berufen sich dabei häufig auf Gesetze, die Verkehrsbehinderungen oder die Störung der öffentlichen Ordnung verbieten. „Das ist kein unlösbares Problem, aber wenn Regierungsvertreter nicht gewählt werden, haben sie kein Interesse daran, eine Lösung zu finden“, sagt Wang Jiangsong, ein Arbeitswissenschaftler in Peking.
Bus aus Protest in Brand gesetzt
In einigen Fällen greifen Arbeiter zu extremen Mitteln, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Manche blockieren Straßen und Eisenbahnverbindungen, treten auf Brücken in einen Sitzstreik oder greifen Behördenvertreter oder Mitbürger an. Ein Bauarbeiter setzte im Januar im Nordwesten Chinas in einem Bus zwei Plastikfässer mit Benzin in Brand, 17 Menschen kamen ums Leben. Medienberichten zufolge hatte er sich zwei Jahre lang bemüht, ausstehenden Lohn zu erhalten, seine Ehe war darüber zerbrochen. Um auf seine Situation aufmerksam zu machen, hatte er zuvor bereits einen Funkturm erklommen und sich mit Benzin überschüttet. Das brachte ihm zehn Tage Gefängnis ein.
Die Arbeiter in Langzhong hatten sich im August vor dem Büro des Schuldners versammelt und später den Eingang zu einer örtlichen Touristenattraktion blockiert. So wollten sie Druck auf die Regierung ausüben, ihnen zu helfen. Als die Polizei den Eingang räumen wollte, kam es nach offizieller Darstellung zu Zusammenstößen und Festnahmen. Fotos der Urteilsverkündung am 16. März zeigen, dass Bewohner umliegender Dörfer der Veranstaltung auf einem öffentlichen Platz in Langzhong beiwohnen mussten. Sie versammelten sich hinter Schildern mit dem Namen ihres jeweiligen Dorfs, mit Blick auf die Bühne und die bewachten Angeklagten. Verteidiger sind nicht zu sehen.
Alle acht wurden schuldig gesprochen und zu sechs bis acht Monaten Haft verurteilt. „Wir hoffen, dass die Massen eine Lehre daraus ziehen. Sie müssen rationale und legale Mittel einsetzen, um Rechte zu verteidigen“, wurde der Richter zitiert. Die Fotos wurden zunächst auf der Website des Volksgerichts von Langzhong gepostet, nach der öffentlichen Empörung aber wieder entfernt, obwohl über den Prozess auch im staatlichen Fernsehen berichtet worden war.
„Die verwundbarsten Menschen verfolgt“
Die Behörden scheinen keinen einheitlichen Plan zu haben, wie sie mit Arbeiterprotesten wegen ausstehender Löhne oder Massenentlassungen umgehen wollen. Doch mit steigender Arbeitslosigkeit im produzierenden Gewerbe, einer nur noch langsam wachsenden Wirtschaft und erwarteten 1,8 Millionen Entlassungen im Kohle- und Stahlsektor wird das Problem an Schärfe zunehmen. In diesem Monat demonstrierten Tausende Bergarbeiter in der Provinz Heilongjiang, nachdem der Gouverneur erklärt hatte, es stünden keine Löhne aus. Später räumte er ein, dass das nicht richtig gewesen sei.
Nachdem große Internetportale über die inszenierte Urteilsverkündung in Langzhong berichtet hatten, ließ die öffentliche Empörung nicht lange auf sich warten. Doch es gibt keine Hinweise darauf, dass Behördenvertreter zur Verantwortung gezogen wurden. „Das Gericht hat die verwundbarste Gruppe Menschen verfolgt mit der klaren Absicht, andere Arbeiter davon abzuschrecken, ihre Löhne einzufordern“, sagt Arbeitsforscher Wang. Löhne nicht zu zahlen, sei verwerflich. Wenn sich die Regierung damit gemein mache, „ist das nicht nur illegal, sondern auch unmoralisch und macht zwangsläufig jeden wütend“.
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