Arbeiten fürs Gemeinwohl: Anders wirtschaften für den Wandel

Ökonomen untersuchen Firmen, die sich dem Gemeinwohl verschrieben haben. Sie sagen: „Kooperatives Wirtschaften“ muss bekannter werden.

Menschen ernten Mohrrüben auf einem Feld

Ernte auf dem Kattendorfer Hof – eine Wirtschaftsgemeinschaft zwischen Erzeuger und Verbraucher Foto: imago

BERLIN taz | Die Alternativökonomie wird von Wirtschaftswissenschaftlern neu vermessen. Die Unternehmen des so genannten „Dritten Sektors“, die nicht dem Staat gehören und nicht privaten Kapitalisten, gibt es zwar und teilweise schon seit geraumer Zeit – aber in welchem Umfang und in welcher Dynamik sie sich entwickeln, darüber gibt es jenseits anekdotischer Evidenzen nur wenig präzises Datenmaterial. Ein Projekt, an dem auch das Berliner Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) beteiligt ist, will das nun ändern.

„Die klassische Einteilung in Markt, Staat und Non-Profit-Sektor macht neue Formen des Wirtschaftens unsichtbar“, erklärt Projektleiter Christian Lautermann vom IÖW. Dabei gebe es immer mehr Unternehmungen, „die konkrete Zielgruppen und das Gemeinwohl fördern wollen und die dabei sowohl am marktlichen Wettbewerb teilnehmen als auch in zivilgesellschaftlichen Verbünden kooperieren“. Dazu gehören Sozialunternehmen, Genossenschaften, Bürgergesellschaften oder Vereine, die das IÖW unter dem Begriff „Kooperatives Wirtschaften“ zusammenfasst. Sie orientieren sich stärker auf das Gemeinwohl als auf Gewinnerzielung. Und die meisten von ihnen folgen einer gesellschaftspolitischen Mission, indem sie sich der sozialen und ökologischen Transformation der Gesellschaft zugehörig fühlen.

Nach einer ersten Theoriephase zur Definition von Gemeinsamkeiten befindet sich das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt mit Namen „Teilgabe“ jetzt in der empirischen Phase. Dabei werden fünf Wirtschaftsbereiche mit Befragungen unter die Lupe genommen. Das ist die gemeinschaftliche Versorgung mit Lebensmitteln im Rahmen der „solidarischen Landwirtschaft“, die bürgerschaftliche Energieversorgung, die Versorgung mit gesundheitsbezogenen und sozialen Diensten durch Seniorengenossenschaften, die Nahversorgung durch genossenschaftliche Gaststätten sowie die digitale Kooperation in Form von „Plattformgenossenschaften“.

Noch stehen die Ergebnisse nicht fest, aber einige Beispiele geben einen Eindruck von der Verbreitung des alternativen Wirtschaften. So haben sich unter dem Dach der „Bürgerwerke eG“ 107 lokale Energiegemeinschaften aus ganz Deutschland mit mehr als 40.000 Mitgliedern organisiert. Dem Netzwerk Solidarische Landwirtschaft, bei dem Verbraucher die Produktion von Ökobetrieben finanzieren, gehören derzeit 404 Organisationen an. In der „CoopCycle-Föderation“ etwa haben sich mehr als 30 Fahrradkurier-Kollektive zusammengeschlossen, um gemeinsam eine Plattform-­In­fra­struktur für Letzte-Meile-Lieferungen zu nutzen. Die Föderation fördert so die Unabhängigkeit, haben die IÖW-Forscher festgestellt: „Lokale Initiativen werden dabei unterstützt, sich selbstbestimmt zu organisieren und faire Arbeitsbedingungen zu ermöglichen.“

Die Merkmale der kooperativen Wirtschaft müssten bewusster umgesetzt werden und mehr Verbreitung finden

Um den sozialen und ökologischen Wandel voranzutreiben, müsse das zivilgesellschaftliche Wirtschaften bekannter gemacht werden, so eine weitere Schlussfolgerung der Ökonomen, die bei dem Projekt mit den Unis Köln und Hamburg zusammenarbeiten. Die Merkmale der kooperativen Wirtschaft müssten „bewusster umgesetzt werden und mehr Verbreitung finden, auch bei konventionellen Wirtschaftsakteuren“, so die Empfehlung der IÖW-Forschenden. „Bedarfswirtschaft“ als Handlungsmaxime könne helfen, „blindes Wachstumsstreben zu vermeiden“.

Pro­ble­me hat das IÖW allerdings – wie eine Reihe so­zial­wissenschaftlicher Forschungsprojekte – mit der abrupten Förderkürzung durch das BMBF. So konnte ein bereits positiv begutachtetes Vorhaben nicht gefördert werden, weil die Mittel für die Förderlinie „Innovative Frauen im Fokus“ kurzfristig zusammengestrichen wurden.

„Grundsätzlich herrscht bei uns wegen der aktuellen Berichte anderer Einrichtungen große Unsicherheit mit Blick auf in Bewilligung befindliche Vorhaben“, erklärte Thomas Korbun, der Wissenschaftlicher Geschäftsführer des IÖW, gegenüber der taz. Forschungsministerin Stark-Watzinger müsse jetzt „dafür Sorge tragen, dass das BMBF das Vertrauen der Forschenden wieder zurückgewinnt“.

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