Arbeit in Serie: der Notfallsanitäter: „So ein Dankeschön ist schön“
Notfallsanitäter Johannes Brandl ist im Rettungswagen oft mit rücksichtslosen Patienten konfrontiert. Für den Job würde er sich wieder entscheiden.
Der Arbeitsort
Wenn Johannes Brandl einen Piepton aus seinem Pager hört, weiß er, dass es losgeht. „Den Pager kennt man aus dem Fernsehen. Auf diese Funkgeräte bekommen wir unsere Einsätze geschickt.“ Brandl ist Notfallsanitäter. Er sitzt angeschnallt im Laderaum eines Rettungswagens, der mit Blaulicht durch die Stadt fährt. Oder er ist im Fahrstuhl eines Berliner Altenheims mit Fahrtrage und PatientIn unterwegs. Oder er rennt in den sechsten Stock eines Altbaus. Auf dem Rücken trägt er einen Notfallrucksack mit Verbandszeug und Medikamenten für die Erstversorgung.
Als Notfallsanitäter kümmert sich Brandl hinten im Rettungswagen um die PatientIn. Vorne auf dem Fahrersitz sitzt der Rettungssanitäter und schlängelt sich durch den Berliner Stadtverkehr. Zu jeder Schicht arbeitet er mit einer anderen Person von den 18 MitarbeiterInnen vom Malteser Hilfsdienst in Charlottenburg zusammen.
In einem von 1.200 Berliner Rettungswagen hat Brandl viele Einsätze im Berliner Westen aber eigentlich auch überall in der Stadt. Es sei keine Seltenheit, dass er morgens um sieben in den Prenzlauer Berg geschickt wird. Die einzelnen Bundesländer geben vor, wie lange ein Rettungswagen bis zum Einsatzort brauchen darf. Im Land Berlin werden acht Minuten angestrebt. Doch das sei im Stadtverkehr häufig nicht realisierbar.
Die Serie (Teil 15)
Mit unserer „Arbeit in Serie“ werfen wir in loser Folge Schlaglichter auf die Berliner Arbeitswelt, auf spannende Tendenzen und bedenkliche Phänomene. MehrfachjobberInnen, moderne ArbeitssklavInnen, ArmutsrentnerInnen: Wir schauen dahin, wo es wehtut. Aber auch dahin, wo die Berliner Wirtschaft boomt: Immobilienbranche, Unterhaltungsindustrie, digitale Transformation. Alle Folgen: taz.de/arbeitinserie. (taz)
Der Mensch
Brandl ist 28, seine Dreadlocks hat er zu einem Zopf zusammengebunden. In seiner Freizeit trägt er rote Chucks, bei Einsätzen im Rettungsdienst Sicherheitsschuhe mit Stahlkappen und eine dicke Jacke mit Reflektionsstreifen. Auf dem Weg zur Arbeit fährt er mit Folkmusik auf den Ohren durch die Stadt. „Das ist genau das richtige, um morgens in der U-Bahn nochmal abzuschalten.“
Seine Freizeit verbringt Brandl gerne an der Ostsee. „Gerade in dem ganzen Großstadttrubel und dem stressigen Job, brauche ich von Zeit zu Zeit die Möglichkeit zu entspannen.“ An seinen freien Tagen mag er Zeit für sich in der Natur. Seine Leidenschaft fürs Kochen komme neben der Arbeit häufig zu kurz.
Wie alles begann
Als Brandl 18 war, nahm sein älterer Bruder ihn das erste Mal mit auf eine Rettungswache auf dem Land in Rheinland-Pfalz. „Am Sonntagmorgen zusammen mit den Kollegen beim Frühstück zu sitzen, das war damals super aufregend.“ Das Wachenleben und die Zusammengehörigkeit sei in Berlin etwas verlorengegangen. In der Stadt habe man häufig nicht so die Zeit wie auf dem Land.
Aufgewachsen ist Brandl in Karlsruhe. In seiner Schulzeit hat er die Qualifikation zum Rettungssanitäter gemacht. An den Wochenenden ist er ehrenamtlich Rettungswagen gefahren. Sein Interesse an der Medizin war ein Grund, warum Brandl 2012 schließlich die Ausbildung zum damaligen Rettungsassistenten gemacht hat. Seitdem arbeitet er hauptamtlich im Rettungsdienst.
„Wegen meiner damaligen Freundin bin ich nach der Ausbildung an die Ostsee nach Rostock gezogen.“ Um Medizinpädagogik zu studieren, ist Brandl dann nach Berlin gegangen und fing direkt beim Rettungsdienst in Charlottenburg an. Nach einem Semester brach er das Studium ab.
Die Arbeitszeit
Offizielle Mittagspausen gibt es für Brandl nicht. „Wenn ich fünf, sechs Einsätze hintereinander fahre, kann es sein, dass ich mein Frühstück erst um 14.30 Uhr oder mein Mittagessen erst um 17 Uhr esse.“
An drei bis vier Tagen die Woche klingelt sein Wecker um 4.45 Uhr. Um 6 Uhr ist Dienstübergabe auf der Rettungswache mit den KollegInnen vom Nachtdienst. Früher arbeitete Brandl gerne nachts. „Da sind die Straßen freier, da hat man einfach mehr Platz.“ Doch der Rhythmus der Nachtschichten würde seiner Gesundheit nicht gut tun.
Notfall- und Rettungssanitäter
Wenn man die 112 wählt, ruft man nicht den Krankenwagen. Entgegen dem gesellschaftlichen Sprachgebrauch werden diese nur für geplante Fahrten eingesetzt. Bei Notfalleinsätzen kommt der Rettungswagen. Darin sitzt der Notfallsanitäter und der Rettungssanitäter. Der Notfallsanitäter leistet die medizinische Erstversorgung am Notfallort, sitzt hinten bei der PatientIn und hat damit die höchste nichtärztliche Qualifikation im Rettungsdienst. Er hat eine dreijährige Ausbildung gemacht.
Missbrauch der 112
2012 hing in der Wiener Straße in Kreuzberg ein Poster mit der folgenden Erklärung: „Das ist ein Taxi. Bitte rufen, wenn Sie sich den großen Zeh gestoßen haben, zum Zahnarzt müssen, bösen Husten haben, schwer betrunken sind. Das ist ein Rettungswagen. Bitte rufen, wenn Sie einen Herzinfarkt erleiden, einen Unfall haben, das Köpfchen schon sehen können, nicht mehr atmen können, in einer Blutlache liegen.“ Immer häufiger berichten Notfallsanitäter von Fällen, die keine echten Notfälle sind und fehlender Zeit für andere Einsätze. Laut Bundeskriminalamt gab es im Jahr 2017 fast 11.000 Missbrauchsfälle des Notrufs. Berlin war mir 1.353 auf Platz zwei.
Tag und Nacht in Berlin
In Deutschland wird am Tag durchschnittlich 30.000-mal die 112 gerufen. Ein Einsatz eines Rettungswagens kostet laut dpa im Land Berlin 299 Euro. Wer durch Alkohol- oder Drogenkonsum einen Rettungseinsatz verursacht, muss die Kosten dafür selber übernehmen. (lula)
Es komme häufiger vor, dass kurz vor Dienstübergabe ein Einsatz reinkommt und Brandl Überstunden machen muss. Die Anzahl der Einsätze während einer Schicht sind sehr unterschiedlich. Das Minimum sind fünf Einsätze in zwölf Stunden, das Maximum zehn. „Das ist dann schon echt viel.“ In Charlottenburg in der Nähe des Bahnhof Zoo gebe es viele Alkoholkranke und Drogenabhängige, zu denen der Rettungsdienst gerufen wird.
Silvester und Weihnachten sind für Brandl ganz normale Arbeitstage. Vergangenes Jahr war er Silvester dran, dieses Jahr wird es Weihnachten werden. „Wir hatten an Silvester in der Wache Raclette gemacht, saßen zusammen und haben „Dinner for One“ geschaut.“
Die Bezahlung
„Mein Gehalt ist angelehnt an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes“, sagt Brandl. Das sind bei den Maltesern in Berlin mit drei Jahren Erfahrung 35.425 Euro brutto im Jahr. Für Nachtschichten und Wochenenden gibt es einen Zuschlag.
Für sein Zimmer in einer WG im Prenzlauer Berg zahlt Brandl 220 Euro. „Das ist so günstig, das darf man eigentlich echt nicht sagen.“ Da er ansonsten nur sich selber finanziert, reiche ihm das Geld auf jeden Fall zum Leben. „Natürlich hängt das vom eigenen Lebensstandard ab.“ Er sei aber ein sehr genügsamer Mensch. Und ein bisschen Geld zum Reisen bleibe am Ende des Monats auch übrig.
Das Gewissen
Seine KollegInnen auf der Wache sind für Brandl wie eine kleine Familie. Die Einsätze hätten ihn und die anderen sehr zusammengeschweißt. „Man redet natürlich auch privat. Das ist schon alles sehr intim hier.“ Nach seinem Dienst bleibt Brandl gerne auf eine Tasse Kaffee länger, um mit den anderen über die Erlebnisse aus der Schicht oder mit einem Kollegen über seinen Urlaub zu reden.
Es hängt stark von den PatientInnen ab, ob Brandl sich nach einem Arbeitstag gut fühlt. Insgesamt gefällt ihm die Arbeit mit Menschen. „Deswegen lohnt es sich auf jeden Fall jeden Morgen so früh aufzustehen.“ Wenn man im Rettungsdienst arbeitet, könne man von den Superreichen bis zu den Obdachlosen in alle Gesellschaftsschichten schauen. Bei seiner Arbeit sind für Brandl alle gleich.
Seit diesem Jahr gibt es beim Malteser Hilfsdienst ein Kriseninterventionsteam mit AnsprechpartnerInnen, die 24 Stunden zur Verfügung stehen. „Dass man belastende Einsätze komplett außer Acht lässt, wenn man zu Hause ist, funktioniert nicht“, erzählt Brandl. Kindereinsätze sind ein rotes Tuch für ihn. „Ob das Verletzungen sind oder körperliche Gewalt gegen Kinder, Einsätze mit Kindern beschäftigen einen besonders lange.“
Die Wertschätzung
Vergangenes Jahr an Silvester wurde Brandl zusammen mit einem Kollegen von einer 78-jährigen Patientin gerufen. Vor Ort habe er direkt gemerkt, dass ihr einfach menschliche Nähe fehlte. „Sie hat angerufen, weil Silvester keiner da war.“
Die Sehnsucht nach menschlicher Interaktion begegne Brandl häufiger in seinem Arbeitsalltag in Berlin. Letztendlich sei es den Leuten selbst überlassen, ob sie mit ins Krankenhaus kommen möchten oder nicht. „Manchmal sorgt einfach die Tatsache, dass jemand da war und zum Beispiel den Blutdruck gemessen hat, dafür, dass eine Person gar nicht mitfahren möchte.“ Da reiche ein bisschen menschlicher Kontakt schon aus.
Immer häufiger werde die 112 von Menschen gewählt, die gar keine echten Notfälle sind. Für die Arbeit im Rettungsdienst würde sich Brandl allerdings jedes mal wieder entscheiden.
„Nö“ antwortet er auf die Frage, ob sich die Leute für die Einsätze bedanken würden. „So ein einfaches Danke ist nicht viel, aber es wäre trotzdem schön, wenn man es hört.“ Eines stört ihn deshalb an seiner Arbeit: Dass es für die meisten Menschen selbstverständlich ist, dass es einen Rettungsdienst gibt. Für viele sei der Rettungsdienst eine Dienstleistung, die sie indirekt über die Krankenkassen bezahlen. Vergangenes Jahr hatte Brandl deshalb einen kleinen Berlin Koller. Da wurde ihm die rücksichtslose Art der PatientInnen zu viel.
Die Perspektive
Aus Berlin möchte Brandl erst mal nicht mehr weg. In zwei bis drei Jahren will er, wenn er genügend Wartesemester für die Zulassung gesammelt hat, nochmal richtig Medizin studieren. Nebenbei will er weiter auf der Rettungswache arbeiten. „Ich kann mit dem Rettungsdienst einfach nicht mehr aufhören.“ Körperlich würde das auch gehen, da elektrische Fahrtragen dem Team die Arbeit erleichtern. Einige KollegInnen könnten deshalb auch bis zur Rente arbeiten. Bis er 60 ist, will Brandl den Job allerdings nicht machen.
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„Für einen Teil des Geldes würde ich Freunde bekochen. Den anderen Teil würde ich für einen VW-Bus sparen, um mir den Traum von einer Weltreise zu erfüllen. Vielleicht würde ich die 100 Euro auch spenden.“
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