Apple beerdigt iTunes: Ein i, sie zu knechten
Nach 18 Jahren beendet der Konzern den Usability-Alptraum iTunes. Um Nutzer*innen geht es dabei aber nur am Rande.
Alljährlich stellt Apple neue Erzeugnisse aus seiner Hard- und Sofwareentwicklung auf der Worldwide Developers Conference vor. Ein Ereignis, dass von Fans der Produktlinien und selbstredend Investor*innen aufmerksam beobachtet wird. Anfang Juni in San José lässt sich doch am besten prognostizieren, ob der Konzern die Trends der jeweils folgenden 12 Monate selber setzt oder zumindest hinreichend gut erkennt, um gute Bilanzen zu erzielen.
Ein neuer Mac Pro gehörte in diesem Jahr zum Programm, leistungsfähig und gewohnt hochpreisig. Allein der Standfuß des extra zu kaufenden Bildschirms ist erheblich teurer als ein typischer Laptop der Generation Prekariat. Ein neues Betriebssystem ist angekündigt, Apple Maps, das Konkurrenzprodukt zum weiterhin marktbeherrschenden Googlekartendienst wurde erweitert, dazu im Wettbewerb mit Facebook einen Logindienst und die Applewatch bekommt einen eigenen Taschenrechner. Jetzt nur keine Witze über Casio-Uhren aus den 1980ern machen.
Was aufhorchen lässt, ist die Mitteilung, dass iTunes nach gut 18 Jahre eingestellt wird. Die Funktionen dieses im Kern sadistisch imperialen Betriebsystems im Betriebssystem werden auf drei Applikationen aufgeteilt. Erste Screenshots lassen jedoch vermuten, dass die wild gewachsene Dysfunktionalität dieses legendären Usabilityalptraums jedoch erhalten bleibt.
Dabei war die Idee am Anfang sogar ganz gut (wenn auch nicht neu): eine virtuelle Jukebox. Ein Programm zur Verwaltung der Musikbibliothek, Dateien, gespeichert auf den eigenen Endgeräten. An Streaming war da noch nicht zu denken. Eine ganze Generation wuchs auf mit der iTunes-Disco. Jener endlose Stapel einzelner Aufnahmen, die in liebevoller Handarbeit getaggt, sortiert und in Playlisten geschoben wurden, waren eine Art Spotify ohne Netz. CDs, deren Lebensdauer deutlich niedriger war, als ihre makellos spiegelnden Oberflächen ursprünglich versprachen, konnten bald relativ unkompliziert auf Rechner gezogen werden, und Schallplatten … nein, vergessen wir das.
Absolute Kontrolle
Die systematische Ordnerstruktur, das gewohnte Dateisystem der Desktoprechner war Apple derweil aber egal. Auch auf freie Nutzung der Medien pfiff die Firma. Musik aus dem Knast proprietärer Soft- und Hardware zu befreien, und auch für andere Geräte als den praktischen iPod zugänglich zu machen, war zwar nicht unmöglich, aber absichtlich erschwert. Apple wollte vielleicht nie die Welt beherrschen, die eigene Nische aber schon möglichst absolut kontrollieren.
Diese Nische wurde größer. Mit dem iTunes-Store wurde 2003 ein neuer Vertriebsweg für Musik zunächst quasimonopolistisch etabliert, der letztlich sämtliche anderen legalen und illegalen Quellen für Musik überflügelte. Die Einführung des iPhones 2007 veränderte nicht nur den Telekommunikationsmarkt entscheidend. Jedes neue Modell verfestigte über mehrere Jahre den Trend zum Smartphone als Multifunktionsgerät, dessen Telefonfunktion von den Nutzer*innen zum netten Add-on degradiert wurde. Messages, Musik, Video, Terminplanung, Social Media, alles auf einem Gerät.
Und der Marktavantgardist Apple verwaltete jede dieser Innovation aus iTunes heraus. Klare Linien, Übersichtlichkeit und intuitive Bedienbarkeit, Leitlinien der Produktentwicklung bei Apple und Rechtfertigung für im Branchenvergleich unverschämte Preise, schienen für iTunes schlicht nicht zu gelten. Der in den ersten Jahren bestehende Zwang, das iPhone aus iTunes heraus zu aktivieren, machte auch den Nutzer*innen von Windowsrechner den neu entdeckten imperialen Anspruch des Herstellers deutlich.
Alles für die Börse
Inzwischen sind die offensichtlichen Zwänge weniger geworden, selbst die Funktionalitäten von iTunes sind auf dem iPhone schon länger auf mehrere Apps verteilt. Insofern ist die Beerdigung dieses programmierten Irrsinns nur folgerichtig, hat aber eher weniger mit der ja schon seit vielen Jahren eher mediokren Nutzungserfahrung zu tun.
Wie benutzbar die neuen Applikationen am Ende wirklich sind, werden dann die hilfesuchenden und am Apple-Support verzweifelten Nutzer*innen in den einschägigen Selbsthilfeforen berichten. Dort findet sich noch immer der lebendige Beleg dafür, dass Weltkonzerne Menschen zugewandt vor allem in deren Eigenschaft als potentielle Börsenanleger*innen agieren – Usability ist da zwar nicht hinderlich, aber gerade für Quasimonopolisten nicht zu jeder Zeit eine notwendige Bedingung.
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