piwik no script img

App soll Grundschüler überwachenHelikopter-Eltern tracken gern

Tracking-Software ist bei besorgten Eltern beliebt. Doch mit „Schutzranzen“ erreicht die Kontrolle eine neue Dimension, sagen Kritiker.

Kleiner Umweg auf den Spielplatz? Mit der „Schutzranzen“-App kriegen Eltern alles mit Foto: ap

Berlin taz | Auf dem Schulweg eine Handvoll Schnee essen, im Supermarkt ein paar Bonbons klauen und mit einem Freund noch einen klitzekleinen Abstecher auf den Spielplatz machen – was für ein Gefühl von Freiheit! Mama und Papa müssen schließlich nicht alles wissen, oder? So genannte Helikopter-Eltern, die ihre Kinder ungern aus den Augen lassen, sehen das anders.

Bei ihnen sind Tracking-Apps zur Kontrolle von Kindern besonders beliebt. Reagiert der Nachwuchs nicht auf ihre Anrufe, können Eltern zum Beispiel mit der App „Ignore no more“ Funktionen des Kinderhandys sperren. Mit „Net Nanny“ können sie sogar das Surfverhalten kontrollieren und Chats mitlesen. Datenschützer kritisieren diese Art der Überwachung regelmäßig.

Jetzt sorgt die App „Schutzranzen“ des Start-ups „Coodriver“ für Kritik. Die Tracking-Software zeigt den Eltern über einen GPS-Sender oder ein Smartphone an, wo sich ihr Kind gerade befindet. Volkswagen kooperiert mit dem Startup: Nicht nur Eltern sollen mit den Daten versorgt werden, auch alle anderen Verkehrsteilnehmer – über eine Cloud und das integrierte Navigationssystem der Autos oder ein Smartphone. Nähert sich ein Kind, schlägt das System Alarm.

„Schutzranzen“ wirbt auf der Homepage damit, dass dieses System Unfälle verhindere. Schließlich käme alle 18 Minuten ein Schulkind im Straßenverkehr zu Schaden – zum Beispiel, weil Fahrer unkonzentriert seien. Friedemann Ebelt vom Verein „Digitalcourage e.V.“ sagt „Wer beim Fahren mit dem Smartphone hantiert, bringt Verkehrsteilnehmer zusätzlich in Gefahr.“ Nützlicher seien Schülerlotsen, Spielstraßen oder Hinweisschilder.

Dealen mit Daten

Statt einzelne Kinder zu verfolgen, könnte das Navigationssystem auch Schulen oder Spielplätze als Risikobereiche anzeigen, so Ebelt. Er zweifelt an dem Argument der Sicherheit: „Den Konzernen geht es um Daten, die hier unter anderem an Google und Facebook übertragen werden. Das ist einfach ein Geschäftsmodell und Volkswagen will in den Markt einsteigen.“

Auch die Stadt Wolfsburg ist involviert. Noch. Sie hatte den Kontakt zwischen Anbieter und Schulen hergestellt, das Pilot-Projekt sollte im Februar mit Info-Abenden starten. Doch die Kommune reagiert auf die Kritik und zieht sich zurück: „Da es im Rahmen von Schutzranzen noch Klärungs- und Kommunikationsbedarf gibt, haben wir als Stadt den Schulleitungen und dem Anbieter empfohlen, den Start des Projektes entsprechend auszusetzen“, teilt die Pressestelle des Rathauses mit.

Nach Einschätzung von Friedemann Ebelt erreicht das Tracking durch die Kooperation von Schulen und Unternehmen eine neue Dimension. Der Verein „Digitalcourage“ fordert VW und „Coodriver“ in einem offenen Brief dazu auf, die Kooperation abzubrechen und das Projekt einzustellen. „Kinder sind keine Objekte im Internet der Dinge. Sie haben Rechte und müssen geschützt, nicht überwacht werden.

Geraten die Daten an die Falschen, kann das grausame Folgen haben“, befürchtet Ebelt. Pädophile könnten das System hacken und gezielt nach Kindern suchen. Außerdem stehe Kindern ein Recht auf Privatsphäre zu, unabhängig vom Alter. Schließlich wäre es für Eltern auch später noch interessant zu erfahren, was ihre Kinder treiben. Zum Beispiel, wenn sie die Bonbons im Supermarkt durch das Bier an der Tankstelle ersetzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • Der nächste Schritt: Jeder bekommt einen VW-Chip implantiert, der uns dann so wie der Schutzranzen kontrolliert! Natürlich nur zu unser aller Schutz - und alle VW-Fahrer werden dann vor dem Auftauchen eines 'Schutzbedürftigen' gewarnt. Die STASI und Gestapo hätten ihre Freude an so etwas gehabt. Aber würde nicht auch ein Maaßen vom Verfassungsschutz solche Dinge mit Vergnügen nutzen?

  • Na da schau her! Die Stadt Wolfsburg mag sich also nicht dabei erwischen lassen, dass sie sich falsch verhält. Sie will bloß ihren besorgten Bürgern, die zufällig auch Eltern sind, die Möglichkeit dazu eröffnen, ihre Kinder zu kontrollieren. Man ist ja schließlich bürgerfreundlich heutzutage. Wenn auch nicht zwingend kinderfreundlich.

     

    Ich verstehe das. Noch sind die Kinder ja nicht an der Macht. Bürgerinitiativen, die den Verwaltungen das Leben schwer machen, gibt es aber schon zu im Dutzend billiger.

     

    Ich nehme an, die Stadt Wolfsburg wird demnächst weiter aufrüsten. Sie wird wohl eine neue Stelle schaffen. Diese Stelle wird sie mit einem Menschen besetzen, den sie dafür bezahlt, dass er der Öffentlichkeit den Unterschied zwischen Gefahr und Gefahr erklärt und wieso die eine allen anderen vorzuziehen ist. Gerne auch statistisch untermauert und rechentechnisch unterstützt.

     

    Der neue Mitarbeiter wird die Stadt dann wieder gut aussehen lassen. Zumindest wird er ihr erlauben, Gutes zu tun, ohne dabei so richtig böse auszusehen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das klappt. Und falls doch nicht, kann ja der neue Mitarbeiter gleich wieder ersetzt werden. Durch einen, der noch besser reden, recherchieren und auch schreiben kann, als jeder Journalist.

  • Die Kinder werden von Autos verletzt. Anstatt dass man Autofahrer durch Ampeln, Fahrverbote oder Geschwindigkeitsbegrenzungen bestraft, werden die Kinder mit GPS-Sender getrackt! Himmel!

  • Nachtrag:

    Meinen ersten Heliflug habe ich 2008 in Russland zwischen Tobolsk und einem Oilpad im tiefsten Sibirien erlebt. War spannend, keine Frage. Danach folgten noch viele mehr und Routine.

    Aber das ist ein anderes Thema...

  • Wenn ich so sehe, was es heute alles gibt, dann frage ich mich: wie konnten wir damals ohne das nur überleben?

  • ..zu viert morgens zur (Waldorf)Schule. Quer durch die Stadt. K.A. mehr. wie das ging. Samstags vielleicht mit der Isetta einer MitschülerinnenMutter nach Hause.

    Nein, nicht zu sechst...

    Wie habe ich eigentlich meine Schulzeit 'rumgekriegt?

    War in den 60ern, da gab es noch Dampflokomotiven und Raucherabteile.Natürlich auch die zerfledderte B...zeitung.

    So lernt man lesen. Mutter wurde immer sauer, wenn wir Schlagzeilen zitiert haben!

     

    Helikopter-Eltern? Geht's noch?

  • Solche Sachen haben das Zeug zur Technik-Dystopie. Die netflix-Serie "Black Mirror" behandelt das Thema sehr schön in der Folge "Arkangel", Season 4 Episode 2.

     

    Wir sind nicht weit weg davon.

  • Macht doch mal endlich Nägel mit Köppen

    Statt Digi-Müll am Kubikmeter - kerr!

     

    Chip implantieren - & ab dafür.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Da kann ich die BBC-Serie "Black Mirror" empfehlen. In Folge zwei der letzten (vierten) Staffel bekommt ein Mädchen einen "Arkangel"-Chip implantiert und dann kann die Mutter das Kind nicht nur orten, sondern auf auf einem Tablet sehen und hören, was das Kind sieht und hört, sie bekommt Alarm, wenn es aufgeregt ist oder Drogen nimmt. Die Mutter kann sogar eine Filterfunktion aktivieren, der sich automatisch einschaltet, sobald etwas unangenehmes passiert, ein Hund bellt oder Gewalt passiert. Das nimmt selbstverständlich kein gutes Ende.

       

      Bei dieser Serie ist fast jede Folge wieder auf neue Art und Weise großartig dystopisch. Wenn sie nicht Abermillionen in Fußball verpulvern würden, könnten es sich die Öffentlich-Rechtlichen auch leisten, so etwas zu lizensieren und es würde nicht hinter einer Netflix-Paywall verschwinden.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Ganz wie der Herr Professor sagt, Staffel 4, Folge 2 "Arkangel". Das Thema filmisch schön umgesetzt von Jodie Foster.

       

      Und überhaupt, wer Dystopien mag, wird mir dieser Anthologie ganz gut bedient.

      • @88181 (Profil gelöscht):

        Wer Dystopien mag, der ist schon mit der Realität ganz gut bedient, finde ich. Der braucht im Grunde gar kein Kino.

         

        Übrigens: Ich glaube, die meisten Leute mögen keine Dystopien. Die gehen nur ins Kino, um sich nachher einreden zu können, dass die Welt ja eigentlich noch ganz in Ordnung ist. nicht.

        • 8G
          88181 (Profil gelöscht)
          @mowgli:

          Leider befinde ich mich in einer disziplinarischen Zeitschleife, deshalb werden Sie diesen Beitrag wohl kaum noch lesen werden.

           

          Sei's drum. Ich finde Dystopien wesentlich anregender und spannender als Geschichten von der heilen Welt.

           

          Ich lese auch lieber Cormac McCarthy als Haruki Murakami oder andere Weichspüler.

           

          Chacun à son goût. Und was die meisten Leute mögen, das ist mir eher Jacke.

      • @88181 (Profil gelöscht):

        Danke.

        &

        Lassemer den Altprofi mal austüten ~>

         

        "Den Chip prophezeie ich seit fas 20 Jahren.

         

        Zugangskontrolle Überall.

        Lustig wird`s, wenn am Kinoeingang der Compi sagt:

        Werter Herr, was wollen Sie hier? Laut meinen Informationen sind Sie zur Zeit beim Lüdl..."

         

        Doch doch - Beides kann frauman nehmen! Wollnichwoll.